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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Pater Joaquim zu, verneigte sich vor ihm, griff nach seiner Hand und küßte sie. Die Demut und der Respekt, mit denen ihn der Ratgeber empfing, machten den Pater immer verlegen, doch diesmal war er so in Sorge, daß er es nicht zu bemerken schien.
    »Ein Telegramm ist gekommen«, sagte er, während der Beatinho, João Abade, die Mutter der Menschen und die frommen Frauen ihm die Hand küßten. »Aus Rio kommt ein Regiment des Bundesheeres. Sein Chef ist ein berühmter Offizier, ein Held, der alle Kriege gewonnen hat.«
    »Einen Krieg gegen den Vater hat noch keiner gewonnen«, sagte der Ratgeber mit freudiger Stimme.
    Der Löwe von Natuba, hockend, schrieb schnell.
    Nach Erfüllung seiner Abmachung mit den Eisenbahnern von Jacobina in Itiuba führt Rufino ein paar Viehtreiber über die verschlungenen Pfade der Serra de Bendengó, auf die früher einmal ein Stein vom Himmel gefallen ist. Sie verfolgen Viehdiebe, die in Pedra Vermelha, der Fazenda von »Oberst« José Bernardo Murau, ein halbes Hundert Kühe gestohlen haben, doch ehe sie die Tiere finden, hören sie von der Niederlage des Expeditionskorps von Major Febrônio de Brito am Cambaio und beschließen, die Suche abzubrechen, um nicht auf Jagunços oder flüchtende Soldaten zu stoßen. Kaum hat sich Rufino in den Ausläufern der Serra Grande von den Viehtreibern getrennt, fällt er einer Gruppe von Deserteuren unter dem Kommando eines Sergeanten aus Pernambuco in die Hände. Sie nehmen ihm sein Gewehr ab, die Machete, seinen Proviant und den Beutel mit dem Geld, das er sich als Spurensucher verdient hat. Sonst tun sie ihm nichts zuleide, warnen ihn sogar, nicht durch Monte Santo zu gehen, denn dort sammelten sich die geschlagenen Soldaten von Major Brito und könnten ihn einziehen.
    Die Gegend ist aufgewühlt vom Krieg. In der folgenden Nacht hört der Spurenleser eine Schießerei am Cariacá, und in der Frühe entdeckt er, daß Leute aus Canudos die ihm wohlbekannte Fazenda Santa Rosa in Brand gesteckt und geplündert haben. Ein alter Mann aus der Gegend sagt ihm, alle Landarbeiter seien nach Belo Monte gegangen und hätten die Tiere und alles, was vom Feuer verschont geblieben ist, mitgenommen.
    Rufino umgeht Monte Santo, und am nächsten Tag warnt ihn eine Pilgerfamilie, die nach Canudos unterwegs ist: Gruppen der Landgendarmerie zögen herum und suchten nach jungen Männern fürs Heer. Mittags kommt er an eine Kapelle, die wie verloren in der fahlgelben Serra da Engorda steht. Dahin kommen nach altem Brauch Männer, die Blut an den Händen haben, um ihre Verbrechen zu sühnen, und andere, um Versprechen einzulösen. Es ist ein kleiner Bau ohne Türen, über die weißen Mauern laufen Eidechsen. Innen sind die Wände bedeckt von Exvotos: Schüsseln mit versteinertem Essen, Holzfiguren, Arme, Beine, Köpfe aus Wachs, Waffen, Kleider und alle Arten winziger Gegenstände. Rufino untersucht die Messer, Macheten und Gewehre und wählt ein scharfes, vor kurzem hier zurückgelassenes Jagdmesser. Dann kniet er vor dem Altar nieder, auf dem nur ein Kreuz steht, und erklärt dem guten Jesus, daß er sich dieses Jagdmesser nur ausleiht. Er berichtet ihm, daß ihm gestohlen worden ist, was er gehabt hat, und daß er das Messer braucht, um nach Hause zu kommen. Er versichert ihm, daß er ihm nicht wegnehmen wolle, was ihm gehört, und verspricht, es zurückzubringen und dazu ein anderes, neues Messer, das sein Geschenk sein soll. Er erinnert ihn daran, daß er kein Dieb ist und daß er seine Versprechen immer einlöst. Er bekreuzigt sich und sagt: »Danke, guter Jesus.«
    In gleichmäßigem Tempo, ohne müde zu werden, setzt er seinen Weg fort, Hänge hinauf, Schluchten hinunter, durch Buschwälder und Steinfelder. An diesem Abend erlegt er ein Gürteltier, das er am Feuer brät. Das Fleisch reicht ihm für zwei Tage. Am dritten Tag ist er in der Nähe von Nordestina. Er geht in die Hütte eines Ortsansässigen, bei dem er auch sonst übernachtet. Die Familie empfängt ihn herzlicher als sonst, die Frau bereitet Essen für ihn. Er erzählt ihnen, daß er ausgeraubt worden ist, und sie bereden, was nach der Schlacht am Cambaio geschehn wird, bei der es anscheinend viele Tote gegeben hat. Beim Sprechen bemerkt Rufino, daß die Eheleute Blicke tauschen, als ob sie ihm etwas zu sagen hätten, sich abernicht getrauten, es auszusprechen. Er schweigt und wartet. Da fragt der Mann, hustend, wie lange er ohne Nachricht von seiner Familie sei. Fast einen Monat. Ist seine Mutter

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