Der Krieg am Ende der Welt
unser Herr«, der andere. »Gelobt sei er.« Der Ratgeber streckte die Hand aus, und während sie sie küßten, fragte er besorgt:
»Ist Nachricht von Pater Joaquim gekommen?«
Der Beatinho verneinte. Obwohl er klein und schmächtig und gealtert war, sah man seinem Gesicht die unbezwinglicheEnergie an, mit der er alle kultischen Handlungen, die Aufnahme neuer Pilger, die Prozessionen und das Schmücken der Altäre organisierte und daneben noch Zeit fand, Hymnen und Litaneien zu erfinden. Seine braune Kutte war voll von Skapulieren, auch voller Löcher, durch die man den Büßergürtel sah, von dem es hieß, er habe ihn nicht abgenommen, seit ihn der Ratgeber ihm umgebunden hatte, als er noch ein Kind war. Nun trat er vor, um zu sprechen, und João Abade, der Dorf-Chef und Straßen-Kommandant, wie ihn die Leute inzwischen nannten, ging ein paar Schritte zurück.
»João hat eine Idee, die eine Eingebung ist, Vater«, sagte der Beatinho mit der schüchternen, ehrfürchtigen Stimme, mit der er den Ratgeber immer ansprach. »Wir hatten in Belo Monte einen Krieg. Und während alle kämpften, warst du allein auf dem Turm. Niemand war da zu deinem Schutz.«
»Mich schützt der Vater, Beatinho«, murmelte der Ratgeber.
»Wie dich und alle, die glauben.«
»Du mußt leben, auch wenn wir sterben«, beharrte der Beatinho. »Aus Liebe zu den Menschen, Ratgeber.«
»Wir möchten eine Wache aufstellen, die auf dich achtgibt, Vater«, flüsterte João Abade. Er sah zu Boden, während er sprach, suchte nach Worten. »Sie wird darüber wachen, daß niemand dir Schaden zufügt. Wir werden sie auswählen, wie Maria Quadrado den Heiligen Chor ausgewählt hat. Nur die Besten und die Tapfersten werden aufgenommen, die Verläßlichsten. Sie werden nur für dich dasein.«
»Wie die Erzengel für den guten Jesus«, sagte der Beatinho. Er deutete auf die Tür, den zunehmenden Lärm. »Jeden Tag, jede Stunde kommen mehr Leute. Hunderte stehen jetzt schon da und warten. Wir können nicht jeden kennen. Und wenn sich die Hunde einmischen, um dir zu schaden? Die Männer werden dein Schild sein. Und du wirst nie allein sein, wenn Krieg ist.«
Die frommen Frauen hockten bewegungslos und schweigend auf ihren Fersen. Nur Maria Quadrado stand neben den zuletzt Gekommenen. Während sie sprachen, war der Löwe von Natuba zum Ratgeber gerutscht und hatte wie ein von seinem Herrn besonders geliebter Hund den Kopf auf das Knie des Heiligen gelegt.»Denk nicht an dich, denk an die anderen«, sagte Maria Quadrado. »Dieser Gedanke ist eine Eingebung, Vater. Nimm ihn an.«
»Sie werden die Katholische Wachmannschaft sein, die Kompanie des guten Jesus«, sagte der Beatinho. »Sie werden Kreuzritter sein, Soldaten, die an die Wahrheit glauben.«
Der Ratgeber machte eine fast unmerkliche Bewegung, doch alle verstanden, daß er seine Zustimmung gab.
»Wer soll sie befehligen?« fragte er.
»João Grande, wenn es dir recht ist«, antwortete der ehemalige Cangaceiro. »Auch der Beatinho glaubt, daß er der Richtige ist.«
»Er steht fest im Glauben.« Der Ratgeber machte eine winzige Pause, und als er weitersprach, war seine Stimme unpersönlich geworden, schien schon nicht mehr einen von ihnen, sondern eine größere, unvergängliche Zuhörerschaft anzusprechen. »Er hat an Leib und Seele gelitten. Und vor allem das Leiden an der Seele macht die Guten gut.«
Noch ehe ihm der Beatinho einen Blick zuwarf, hatte der Löwe von Natuba den Kopf von den Knien des Ratgebers gehoben, hatte mit katzenhafter Schnelligkeit nach Feder und Papier gegriffen und aufgeschrieben, was er gehört hatte. Als er fertig war und, wie immer auf allen vieren, zum Ratgeber zurücklief, hatte João Abade begonnen, über die Ereignisse der letzten Stunden zu berichten. Ein paar Jagunços waren auf Erkundung ausgezogen, andere waren mit Lebensmitteln und Nachrichten zurückgekehrt, wieder andere hatten Fazendas in Brand gesteckt, die dem guten Jesus nicht helfen wollten. Hörte ihm der Ratgeber zu? Er hatte die Augen geschlossen und saß schweigend und reglos da wie die frommen Frauen, als wäre seine Seele ausgeflogen zu einem jener Gespräche mit den Himmlischen – so nannte sie der Beatinho –, von denen er den Menschen von Belo Monte Offenbarungen und Wahrheiten mitbringen würde. Obwohl nichts auf die Ankunft neuer Soldaten hinwies, hatte João Abade auf den Ausfallstraßen nach Jeremoabo, nach Uauá, zum Cambaio, nach Rosario, nach Chorrocho und nach Curral dos Bois Leute
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