Der Krieg am Ende der Welt
aufgestellt und Schützengräben ausheben und am Vaza Barris Schutzwälle errichten lassen. Der Ratgeber stellte ihm keine Fragen. Auchnicht, als der Beatinho von seinen Problemen berichtete und, während draußen Litaneien angestimmt wurden, aufzählte, wie viele Pilger am Abend und wie viele am Morgen gekommen waren. Sie kamen aus Cabrobó, aus Jacobina, aus Bom Conselho, aus Pombal und warteten in der Kirche Santo Antônio auf den Ratgeber. Wollte er noch am Morgen zu ihnen sprechen, ehe er die Arbeiten am Tempel des guten Jesus beaufsichtigte, oder am Abend, zur Stunde des Rats? Der Beatinho berichtete ihm über den Fortgang der Arbeiten. Das Holz für Dachbalken sei ausgegangen, am Dach könne nicht weitergebaut werden. Zwei Zimmerleute seien nach Juazeiro gegangen, um Holz zu bestellen. An Steinen fehle es glücklicherweise nicht, die Maurer könnten weiterarbeiten.
»Der Tempel des guten Jesus muß bald fertig werden«, murmelte der Ratgeber und schlug die Augen auf. »Das ist das Wichtigste.«
»So ist es, Vater«, sagte der Beatinho. »Alle helfen mit. An Armen fehlt es nicht, es fehlt an Material. Alles ist aufgebraucht. Aber wir werden Holz bekommen, und wenn wir es bezahlen müssen, werden wir es bezahlen. Alle sind bereit, zu geben, was sie haben.«
»Seit vielen Tagen ist Pater Joaquim nicht gekommen«, sagte der Ratgeber mit einer gewissen Sorge. »Seit vielen Tagen wird in Belo Monte keine Messe gelesen.«
»Es wird wegen der Lunten sein, Vater«, sagte João Abade. »Wir haben fast keine mehr, und er hat sich erboten, sie in Caçabu zu besorgen. Er wird sie bestellt haben und darauf warten, daß er sie bekommt. Soll ich ihn holen lassen?«
»Er wird kommen, Pater Joaquim ist kein Verräter«, erwiderte der Ratgeber, und seine Augen suchten Alexandrinha Corrêa, die bei der Erwähnung des Pfarrers von Cumbe sichtlich verlegen den Kopf eingezogen hatte. »Komm her, du sollst dich nicht schämen, Tochter.«
Alexandrinha Corrêa – die Jahre hatten sie magerer und faltiger gemacht, aber die Stupsnase war ihr ebenso geblieben wie die widerspenstige Miene, die von ihrem demütigen Benehmen abstach – trat zum Ratgeber, ohne daß sie gewagt hätte, ihn anzusehen.
Er legte ihr die Hand auf den Kopf, während er sprach:»Aus dem Bösen ist etwas Gutes geworden, Alexandrinha. Er war ein schlechter Hirte, und weil er sündigte, litt er, bereute, beglich die Schuld, die er dem Himmel gegenüber hatte, und ist nun ein guter Sohn des Vaters. Alles in allem hast du ihm etwas Gutes getan. Und deinen Brüdern und Schwestern in Belo Monte auch, denn Pater Joaquim haben wir es zu verdanken, daß wir noch von Zeit zu Zeit die Messe hören können.«
Die letzten Worte sprach er voller Traurigkeit und bemerkte es vielleicht gar nicht, daß die ehemalige Wahrsagerin sich bückte, um den Saum seines Gewandes zu küssen, ehe sie wieder in ihre Ecke ging.
In den ersten Zeiten von Canudos waren verschiedene Pfarrer gekommen, um Messe zu lesen, Kinder zu taufen und Paare zu trauen. Aber seit die Mission der Kapuzinermönche aus Salvador so schlecht ausgegangen war, hatte der Erzbischof von Bahia den Pfarrern verboten, Canudos geistlichen Beistand zu leisten. Nur Pater Joaquim kam noch. Er brachte nicht nur die Tröstungen der Religion, sondern auch Papier und Tinte für den Löwen von Natuba, Kerzen und Weihrauch für den Beatinho und machte Besorgungen für João Abade und die Brüder Vilanova. Was veranlaßte ihn, der Kirche und jetzt auch den weltlichen Behörden zu trotzen? Vielleicht Alexandrinha Corrêa, die Mutter seiner Kinder, mit der er bei jedem seiner Besuche im Sanktuarium oder in der Kapelle Santo Antônio ernsthafte Gespräche führte? Oder vielleicht der Ratgeber, dem er immer verlegen und wie zuinnerst aufgewühlt gegenüberstand? Oder vielleicht der Gedanke, daß er, wenn er kam, eine alte Schuld abtrug, die er dem Himmel und den Sertanejos gegenüber auf sich geladen hatte.
Wieder sprach der Beatinho, nun über die dreitägige Andacht zum kostbaren Blut, die am Abend beginnen sollte, als draußen Stimmen laut wurden und an die Tür geklopft wurde. Maria Quadrado öffnete. Mit der strahlenden Sonne im Rücken und einer Menge spähender Köpfe hinter sich stand der Pfarrer von Cumbe auf der Schwelle.
»Gelobt sei Jesus Christus, unser Herr«, sagte der Ratgeber und erhob sich so rasch, daß der Löwe von Natuba zur Seite springen mußte. »Wir dachten an Sie, und Sie sind gekommen.«Er ging auf
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