Der Krieg Der Diebe
furchterregenden Wolke gleich, in der Nähe.
Durch Stilchos Lippen flüsterte sie Worte, die Stilcho nicht hätte verstehen können - eine Sprache, die nur wenige Sterbliche kannten. »Bis zum Morgengrauen - zum Morgengrauen - zum Morgengrauen .«
Der Traum breitete sich aus, entglitt in einem Augenblick der Panik ihrer Kontrolle. Sie versuchte, ihre Gestalten zurückzurufen, doch das wäre gefährlich gewesen.
Bis zum Morgengrauen hatte sie gesagt.
So viele drängten sich an das Tor, so unendlich viele. Freistatt, flüsterten sie einander zu. Freistatt ist offen. Manche gingen aus Sehnsucht nach Hause, nach Weib, Mann, Kindern; andere aus Zorn, viele, viele aus Zorn - die Stadt rief in jenen, die ihr in die Falle gegangen waren, Haß hervor.
Eine wohlhabende Witwe drehte sich im Bett ihres Sklaven um, den sie sich hielt, und starrte in die anklagenden Augen ihres dahingeschiedenen Mannes: Ein Schrei gellte durch die marmornen Hallen hoch oben auf der Anhöhe.
Lähmende Kälte weckte einen Richter. Er riß die Augen auf und sah all die Geister, die guten Grund hatten, sich an ihn zu erinnern. Er schrie nicht; er schloß sich ihnen an, denn sein Herz versagte im selben Moment.
Im Labyrinth wurden die Stimmen von Kindern laut, die verzweifelt durch die Straßen rannten - O Mama! Papa! Hier bin ich! Ein Kind wanderte allein zwischen vornehmen Kaufmannshäusern hindurch und klopfte an eine Tür. Ich bin daheim - o Mama, laß mich ein!
Ein Dieb wälzte sich in seinem Bett herum. Er rieb sich die Augen, blinzelte, rieb sie erneut. »Klauer!« rief er. Er wußte, daß er träumte und doch spürte er die Grabeskälte, die von dem alten Mann ausging. »Klauer?« Der Alte verwünschte ihn, wie er es immer getan hatte, und Hanse Nachtschatten setzte sich in seinem Bett auf und starrte wie versteinert auf seinen alten Lehrer, der auf seinem Fuß saß.
Auf den Straßen wurde es laut von den vielen Toten. Einer hämmerte kraftlos an eine Tür. Wo ist mein Geld? wimmerte er. Eindaumen, wo ist mein Geld?
In den Nischen und an den Tischen im Wilden Einhorn erhob sich ein Flüstern, und die letzten Gäste flohen aus der Gaststube.
Bruder, sagte ein Geist zu dem fetten Mann in einem Bett in der Oberstadt, dann wandte er sich an die Frau neben ihn - ist er es wert, Thea?
Schreie gellten, ihre Echos über den Straßen trug der Wind mit sich.
Eine Beysiberin spürte, wie die Schlange, ihre Bettgenossin, sich rührte. Sie öffnete die dunklen seltsamen Augen und blickte staunend auf die bleiche Gestalt im Nachthemd, die mitten im Gemach stand. Eindringling, sagte sie. Raus aus meinem Bett! Raus aus meinem Haus! Du hast hier nichts verloren!
So etwas hatte noch nie jemand zu ihr gesagt. Sie blinzelte verwirrt und hörte die schrillen Schreie. Wurde etwa die Stadt gebrandschatzt?
Auf der anderen Flußseite hastete Moruth durch die Nacht, auf der Suche nach einem sichereren Ort in dieser Stunde des Wahnsinns, auf diesen Straßen, wo die Hölle ausgebrochen war.
Da wurde ihm der Weg versperrt. Vier Falkenmasken kamen auf ihn zu. Er wirbelte herum. Vom anderen Straßenende näherten sich ihm Stiefsöhne mit Schwertern.
In der Wachstube riß ein Höllenhund schlaftrunken die von zu vielem Wein geröteten Augen auf. Da waren Schritte. Vertraute Schritte, die auf ihre Art unverkennbar waren - die Schritte eines wahrhaft guten Freundes. Doch plötzlich erinnerte er sich bedrückt. Nein, es war unmöglich. Trotzdem stand er auf, und der Stuhl kippte krachend um.
Raskuli stand da, unversehrt, mit dem Kopf fest auf den Schultern. Ich kann nicht lange bleiben, sagte er.
Höher oben im Palast schrie Kadakithis auf und brüllte nach den Wachen, denn Fremde waren in sein Schlafgemach eingedrungen: eine Horde Geister, einige mit dem Henkerseil um den Hals, andere Soldaten in staubiger, vielfach beschädigter Rüstung. Und sein Großvater, der gar nicht nach Freistatt gehörte, er trug eine Schattenkrone.
Schäm dich! sagte er.
In der Kaserne unten an der Mauer setzte Walegrin sich auf seiner Pritsche auf - unheildrohend und ganz deutlich hörte er das Klimpern von Armreifen. Er zog sein Messer unter dem Kopfkissen hervor, doch da verstummte dieses allzu bekannte Klingeln, und nun vernahm er Schreie außerhalb der Mauer. Mit dem Messer in der Hand sprang er hoch und riß das Fenster auf.
Jubal, den ehemaligen Sklavenhändler, weckte das Murmeln der See - und doch keiner See. Um sein Bett stand eine Schar Sklaven, viele verstümmelt,
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