Der Krieg der Ketzer - 2
den einzelnen Personen. Er hatte nicht bedacht, dass ihm vielleicht eines Tages diese Individuen so sehr ans Herz wachsen würden. Haarahld Ahrmahk war nicht einfach nur der König von Charis: Er war ein persönlicher Freund von Merlin Athrawes, und er war der Vater eines weiteren, noch engeren Freundes – und der Mann, der einst eine junge Frau namens ›Nimue Alban‹ gewesen war, hatte in seinem – ihrem – Leben wahrlich schon zu viele Freunde verloren.
Ist das der wahre Grund dafür, dass ich mich von Cayleb habe ›überreden lassen‹, das hier zu tun? Oder … – er legte die Stirn in Falten, als ein weiterer Gedanke ihm durch den Kopf schoss – … tue ich das, weil ich einfach einsam bin? Weil ich jemanden brauche, der weiß, was ich hier zu tun versuche?Der weiß, wie weit von meinem Zuhause ich wirklich bin? Diese Leute hier mögen ja meine Freunde sein, aber keiner von ihnen weiß, wer – oder was – ich wirklich bin. Habe ich irgendeine Art unterbewusstes Bedürfnis, zu wissen, dass jemand, der mich als seinen Freund erachtet, die Wahrheit über mich kennt – oder zumindest so viel von der Wahrheit, wie dieser Freund nur zu verstehen in der Lage sein würde?
Vielleicht war es ja wirklich genau so. Und vielleicht war genau dieses Bedürfnis ein äußerst gefährlicher Riss in seiner Rüstung. Egal, wie Cayleb – oder sogar Haarahld – nun reagieren mochten, die weitaus meisten Safeholdianer, selbst die aus Charis, würden in ihm tatsächlich eine Ausgeburt der Hölle selbst sehen, wenn sie auch nur ein Zehntel der Wahrheit über ihn herausfänden. Und wenn das geschah, dann wäre alles, womit er jemals das Geringste zu tun gehabt hatte, für alle Zeiten befleckt und unrein und würde voller Entsetzen zurückgewiesen werden. Letztendlich musste er also zu dem Schluss kommen: Wenn er tatsächlich aus diesem Bedürfnis nach echter Freundschaft so weit ginge, jemandem gegenüber die Wahrheit zu enthüllen, der dafür nicht bereit war, oder auch nur jemandem gegenüber, der sie möglicherweise aus Unachtsamkeit verriet, dann mochte alles, was er bislang erreicht hatte, völlig umsonst gewesen sein – einschließlich des Todes all der Menschen, die auf dem Weg dorthin gestorben waren, und auch all derer, die noch den Tod finden würden.
Das alles stimmte. Das wusste er, aber er war nicht bereit, sich hier einer Psychoanalyse zu unterziehen, um seine wahren Beweggründe zu erkennen – nicht einmal, wenn man davon ausging, dass man einen PICA überhaupt einer Psychoanalyse würde unterziehen können. Denn letztendlich war das alles bedeutungslos. Was auch immer der Grund dafür nur sein mochte, das hier war etwas, das er tun musste. Etwas, das er unmöglich unterlassen konnte.
Eine weitere Welle trug ihn höher. Dieses Mal waren keine Lichter mehr zu erkennen, und er nickte zufrieden, als er die Visualisierung der umliegenden Seemeilen betrachtete, die ihm ein Aufklärer-Schwebeboot lieferte; getarnt schwebte es hoch über ihm. Stetig zog die Flotte weiter, entfernte sich immer mehr von ihm, während er alleine in dieser fast endlosen See trieb.
Jemanden von einem überfüllten, beengten Segelschiff unbemerkt verschwinden zu lassen, so stellte er jetzt fest, war nur unwesentlich weniger schwierig, als jemanden unbemerkt an Bord einer überfüllten, beengten Galeere auftauchen zu lassen. Die Tatsache, dass jetzt auch noch der Vollmond am Himmel stand, machte seine Aufgabe zu einer noch deutlich größeren Herausforderung.
Glücklicherweise hatten Cayleb und er sich bereits eine gute Ausrede zurechtgelegt, auch wenn sie bislang nie auch nur in Erwägung gezogen hatten, sie zu diesem Zwecke einzusetzen: Ahrnahld Falkhan und die anderen Mitglieder der Marine-Einheit, die als seine Leibgarde fungierten, kannten die ›Wahrheit‹ über ›Seijin Merlin‹: Jeder Einzelne wusste, dass Merlin gelegentlich von Visionen heimgesucht wurde, und dass er immer wieder gezwungen war, sich zurückzuziehen und zu meditieren, um sie erkennen und richtig deuten zu können. Und jeder von ihnen wusste, dass es absolut unerlässlich war, diese ›Visionen‹ niemandem gegenüber zu erwähnen, der nicht zum engsten Kreis von König Haarahld oder Prinz Cayleb gehörte.
Also hatte man Merlin, als Offizier der Royal Guards und Caylebs persönliche Leibwache, eine eigene kleine Kajüte angewiesen. Sie befand sich unmittelbar am Heck, gleich unterhalb von Caylebs eigenen Gemächern. Sie verfügten sogar über eigene
Weitere Kostenlose Bücher