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Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Titel: Der Krieg, der viele Vaeter gatte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schultze-Rhonhof
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nationalen Minderheiten angemessene Rechte. In Artikel 109 der polnischen Verfassung heißt es:
    „Jeder Bürger hat das Recht, seine Nationalität zu bewahren und seine
    Sprache und nationalen Eigentümlichkeiten zu pflegen. Besondere staat
    liche Gesetze sichern den Minderheiten im polnischen Staat die volle freie
    Entwicklung ihrer nationalen Eigentümlichkeiten mit Hilfe von auto
    nomen Minderheitsverbänden. ..."
    Der Schutz des Lebens, der Rechte, der Muttersprache und der Traditionen der vielen nichtpolnischen Nationalitäten ist im neu entstandenen Staate Polen damit gesetzlich und völkerrechtlich zunächst abgesichert. Doch die in der Verfassung vorgesehenen „besonderen staatlichen Gesetze" werden nie erlassen. Polen beginnt sehr bald damit, die früher erduldete Russifizierung und Eindeutschung umzukehren und geht mit der Polonisierung derer, die nun Minderheit in Polen sind, weit über das hinaus, was ihnen selbst zuvor – zumindest unter deutscher und habsburger Herrschaft – zugemutet worden ist.

    Als erstes weist man ab 1922 die Nichtpolen aus, die nach 1908 ins Land gekommen sind, auch wenn sie dort rechtmäßig Geschäfte, Firmen oder Land erworben hatten. Dann stellt man die Nichtpolen vor die Wahl, sich für Polen zu entscheiden oder für Deutschland oder andere Länder zu „optieren" und dorthin auszuwandern. Die „Optanten", die sich zu Deutschland, Österreich oder zur Sowjetunion bekennen und das Land verlassen, werden für die zurückgelassene Habe, für die enteigneten Liegenschaften, für das Bauernland und ihre Forsten zunächst nicht entschädigt. Zudem entläßt man die Beamten mit Russisch oder Deutsch als Muttersprache. Etwa die Hälfte der russischen, jüdischen und deutschen Schulen und Universitäten muß schließen. Der doppelsprachige Unterricht, soweit nach Kriegsende noch erteilt, wird per Gesetz verboten und Polnisch wird zur alleinigen Unterrichtssprache erklärt. Einem großen Teil der Ukrainer, Weißrussen, Juden, Österreicher und Deutschen werden ihre Arzt- und Apothekerapprobationen und die Geschäfts- und Verlagslizenzen entzogen. 39 Und ansonsten wird polnischerseits geschäftlich alles boykottiert, was nicht polnisch ist.

    Mißliebige Personen werden ab 1919 in Lagern bei Szczypiorno und Stralkowno konzentriert und eingesperrt. Hier sitzen allein 16.000 „Staatsfeinde" mit deutscher Muttersprache ein. 1923 werden zur Konzentration weiterer „Staatsfeinde" auch solche Lager bei Brest-Litowsk und Bereza Kartuska eingerichtet. Bis

    Verfassung vom 17. März 1921
Gesetz vom 31. Juli 1924
Gesetz vom Dezember 1921
Kendziora, Seite 22
    1939 erreichen etwa 15.000 Minderheitenbeschwerden aus Polen den Völkerbund in Genf, in denen die Betroffenen Willkürakte, Rechtsbrüche und Drangsalierungen von Polen an Nichtpolen anzeigen und beklagen. Von März bis August 1939 sind es allein 1.500 solcher Fälle gegenüber Deutschen, die das Auswärtige Amt in Berlin registriert. Der Völkerbundrat muß die Lage der Minderheiten im Staate Polen wiederholt zum Thema machen, doch er vermag kaum, etwas zu ändern. Am 15. Juni 1932 berichtet Lord Noel-Buxton vor dem Oberhaus in London über eine Tagung des Rats zu diesem Thema:
    „In den letzten Tagen sind auf den Tagungen des Rats des Völkerbundes
    wichtige Fragen, die die nationalen Minderheiten betreffen, behandelt
    worden. Vor allem wurde auf der Januar-Tagung ein Bericht verhandelt,
    der sich mit der sogenannten Terrorisierung beschäftigte, die im Herbst
    1930 in der Ukraine stattgefunden hat. ... Assimilierung durch Zerstörung der Kultur ist an der Tagesordnung. ... Aus dem Korridor und aus Posen sind bereits nicht weniger als 1 Million Deutsche seit der Annexion ab gewandert, weil sie die Bedingungen dort unerträglich finden. ... Im pol nischen Teil Ostgaliziens wurden vom Ende des Krieges bis 1929 die Volks schulen um zwei Drittel vermindert. In den Universitäten, in denen die Ukrainer unter österreichischer Herrschaft elf Lehrstühle innehatten, be sitzen sie jetzt keinen, obwohl ihnen 1922 von der polnischen Regierung eine eigene Universität versprochen worden war. In dem Teil der pol nischen Ukraine, der früher zu Rußland gehörte, in Wolhynien, sind die Bedingungen noch härter. Hier gibt es ein umfangreiches System der Kolonisierung durch frühere Soldaten, und diese Leute verfolgen ihre Nachbarn in einer äußerst bedauernswerten Weise. ...In der ganzen Ukraine gibt es überdies das System der polizeilichen

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