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Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Titel: Der Krieg, der viele Vaeter gatte
Autoren: Gerd Schultze-Rhonhof
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Er verletzt damit Völkerrecht. Er bricht das gegebene Wort und er verläßt die bislang legitime Linie seiner Außenpolitik, nur deutsche Menschen „heim ins Deutsche Reich" zu holen. Mit diesen drei Rechts-, Wort- und Politikbrüchen überschreitet Hitler die Grenze dessen, was die Versailler Mächte bereit sind hinzunehmen. Doch in London und Paris fühlt man sich auch diesmal außerstande, militärisch gegen Deutschland vorzugehen. Aber mit der Besetzung Prags reift bei Briten und Franzosen der Entschluß, Hitler und dem Deutschen Reich so schnell wie möglich die Rechnung für die Missetat an der Tschechei zu präsentieren. Die offenen Posten auf der Rechnung heißen: ● Strafe für die Besetzung der Tschechei, ● Wiederherstellung der Machtverhältnisse von Versailles, ● Kündigung des Britisch-Deutschen Flottenabkommens ● britische „balance of power" und ● französische Vorherrschaft auf dem Kontinent.
    Auch wenn sich die letzten beiden Posten gegenseitig ausschließen, so schreibt eben England den einen und Frankreich den anderen auf die Rechnung.

    Ohne die Tschechei-Besetzung hätten die Regierungen in Paris und London den Bürgern Frankreichs und Englands kaum erklären können, warum sie der deutschen Stadt Danzig wegen für Polen hätten in den Krieg ziehen sollen. Und ohne die Kriegsermunterungen aus London und Paris hätte die Warschauer Regierung selbst nach einer Friedenslösung suchen müssen. Die zugespitzte Lage im August 1939 hat so nur entstehen können, weil Hitler mit der Besetzung der Tschechei selbst sechs Monate zuvor den Grund zu einem neuen Krieg gegeben hat. Die Regierungen Englands und Frankreichs haben es geschickt verstanden, Hitler mit Hilfe Polens in eine Zwickmühle zu manövrieren, in der er nur auf Danzig verzichten und die deutsche Minderheit in Stich lassen oder Krieg mit Polen führen kann. Die deutsche Mitschuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges liegt zuerst in der Besetzung der Tschechei und nur nachrangig in der Gewaltlösung der deutsch-polnischen Probleme.

    Betrachtet man dagegen den letzten Anlaß, den Streit um Danzig, so sieht man, daß die sachlichen Streitpunkte, um die es dabei geht, nur noch von ganz geringem Umfang sind. Nachdem Hitler der polnischen Regierung die Beibehaltung der bisherigen wirtschaftlichen Privilegien in Danzig zugesichert hat, und nachdem die Polen ihrerseits bereit gewesen sind, die außenpolitische Vertretung Danzigs wieder abzugeben, bleiben nur noch die Zoll- und Postrechte der Polen im Freistaat und ein Munitionsdepot, die beide Seiten von einer Einigung trennen. Von ungleich größerem Gewicht sind die emotionalen Differenzen. Die Danziger Bevölkerung will nach rund 20 Jahren wieder zum eigenen Land gehören dürfen, und die polnische Bevölkerung wertet Danzig als urpolnisch und sieht im Anschluß Danzigs an das Deutsche Reich für Polen eine nationale Niederlage. Gemessen an der geringen Bedeutung der noch offenen sachlichen Streitpunkte und an der Tatsache, daß Hitler den Regierungschefs Englands und Frankreichs mehrmals mitteilt, daß er keinen Krieg mit ihren Ländern wünscht, ist es ein ungeheuerlicher Vorgang, daß die polnische Regierung die Heimkehr Danzigs zum Grund für einen Krieg erklärt, daß Hitler diesen Krieg beginnt und daß Chamberlain und Daladier den Krieg um Danzig binnen zweier Tage zu einem Weltkrieg machen.

    Der Anlaß Danzig kann alleine nicht erklären, warum die Regierungen von sechs Nationen mit Vorsatz auf den Krieg zusteuern. Doch auch die deutsche Besetzung der Tschechei reicht nicht zur vollen Deutung dieses Kriegsausbruchs. Die wahren Gründe liegen tiefer.

    Bilanz

    Der große Krieg, der zwischen 1939 und 1945 ausgetragen wird, hat seine mitteleuropäisch-deutsche, seine mediterran-italienische und seine pazifisch-japanische Dimension. Bei den letztgenannten beiden sind es die ehemaligen Alliierten aus dem Ersten Weltkrieg, die sich auseinandersetzen. Bei der mitteleuropäischdeutschen Dimension handelt es sich um die Wiederholung oder die Fortsetzung des Ersten Weltkriegs, den die Deutschen erst in Flandern und auf dem Atlantik und dann in Versailles verloren hatten. 1919 bringen alle Sieger ihre Kriegsgewinne heim, die einen deutsche und österreichische Grenzgebiete, die anderen deutsche Kolonien und die dritten deutsche Industriepatente und Reparationen. Die Sieger versäumen es dabei, den Schluß des Krieges in den Anfang eines Friedens umzuwandeln. Sie zementieren einen Zustand,
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