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Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Titel: Der Krieg, der viele Vaeter gatte
Autoren: Gerd Schultze-Rhonhof
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den die besiegten Deutschen und Österreicher nicht auf Dauer dulden können. In Deutschland scheitern letzten Endes alle demokratischen Regierungen vor 1933 an den mittelbaren oder unmittelbaren Folgen der Versailler Lasten und an der Unwilligkeit der Sieger, den Deutschen einen echten Frieden einzuräumen. Schon als ab 1927 die deutschen Reichsregierungen versuchen, die Selbstschutzfähigkeit ihres Landes in Maßen auf dem Verhandlungswege zu erstreiten, und als sich 1931 die österreichische und die deutsche Regierung um eine Zollunion bemühen, stören sie das, was in der Sicht der Sieger „Friede" ist. Den zwei neuen Republiken Deutschland und Österreich wird 1919 mit den „Taufsprüchen" von Versailles und Saint-Germain in die Wiege gelegt, daß sie auf Dauer halbsouveräne Staaten bleiben oder Friedensstörer werden müssen. Als die neue deutsche Reichsregierung unter Hitler anfängt, die Versailler Nachkriegsordnung Stück um Stück hinwegzuräumen, stört sie demzufolge das, was die Siegermächte für den Frieden halten. Selbst der moderate Start der Hitler-Regierung, die sechsmal von sich aus Angebote zur Rüstungsbegrenzung unterbreitet, ändert daran nichts. Die Status-quo-Veränderungen, die von deutscher Seite vorgeschlagen werden, sind tendenziell Brüche des Versailler Friedens. Daneben zeigt sich, daß Hitler jeder mäßigende Schritt als Schwäche ausgelegt wird. Das erste Beispiel dazu ist sein Vorschlag, die Tumulte vor der Saarabstimmung durch Verzicht auf einen Urnengang und einen freundschaftlichen Vertrag mit Frankreich zu beenden, der die augenblickliche Rechte der Franzosen im Saarbergbau als Dauerlösung festschreibt. Hitlers Mißerfolge am Verhandlungstisch im deutlichen Kontrast zu den Erfolgen, die er mit Handstreich oder Drohung durchsetzt, „erziehen" den Diktator, sich fortan der letzteren Methoden zu bedienen.

    Die in Versailles konstruierte Verteidigungsunfähigkeit des Reichs mit einer ungeschützten Rheinlandgrenze gegenüber Frankreich und mit einem Reichsheer, das den Heeren der Nachbarländer 1:12 an Friedensstärke und etwa 1:100 für den Fall des Krieges unterlegen ist, ist angesichts der Einmärsche der Polen, Franzosen, Belgier und Litauer in das Reichsgebiet kein auf die Dauer für die Deutschen hinnehmbarer Zustand. Die Aufrüstung von 51 Friedensdivisionen plus der etwa gleichen Zahl an Reservedivisionen und der rasche Aufbau von Luftstreitkräften für die Zeit, in der das Heer noch nicht voll abwehrfähig ist, erscheint den meisten Bürgern Deutschlands zu der Zeit, da dies geschieht, als Gebot der Stunde und nicht als Omen eines von Deutschland ausgelösten neuen Krieges. Doch für die Siegermächte ist schon die Ankündigung der deutschen Wiederaufrüstung ein Bruch des „Friedens" von Versailles und ein Alarmsignal. Erst recht wird der ab 1935 offenkundige Wehrmachtswiederaufbau in Washington, Paris und London so gesehen.

    Frankreich und die USA haben es versäumt, die von Hitler 1933 und 1934 angebotenen Begrenzungen der deutschen Selbstschutzfähigkeit anzunehmen und vertraglich festzuschreiben und dafür mit einer Begrenzung der eigenen Rüstung zu bezahlen. Statt dessen haben weder die Franzosen Teile ihrer Land- und Luftstreitkräfte opfern noch die Amerikaner ihre enorme Marinerüstung bremsen wollen. Jeder hatte „seine guten Gründe". Hitler hat immerhin mit Großbritannien vertraglich eine Unterlegenheit der deutschen Kriegsmarine 1:3 vereinbart und sich solange vertragsgetreu verhalten, wie er damit rechnen konnte, daß England nicht erneut als Feindstaat auftritt.

    Während seiner ersten Herrschaftsjahre erscheint Hitler, was die äußere Sicherheit betrifft, der eigenen Bevölkerung infolge seiner öffentlichen Reden als ein „Mann des Friedens". Er läßt das deutsche Volk bis zum September 1938 nicht erkennen, daß er bereit ist, die Wehrmacht statt zum Schutz des Reiches auch zur Durchsetzung seiner Ziele einzusetzen. Im Bewußtsein der Bürger und Soldaten dient der Wehrmachtswiederaufbau alleine der Verteidigung des eigenen Landes.

    1933 ist die Geschichte – so wie ich glaube – noch ergebnisoffen. Die Entwicklung, wie sie 1939 in den Zweiten Weltkrieg mündet, bestätigt am Ende die Befürchtungen der Siegermächte, die den Deutschen allgemein seit 1919 und Hitler im besonderen seit 1933 unterstellen, auf einen neuen Krieg und auf die Weltherrschaft hingewirkt zu haben. Doch in ihrer Furcht vor Hitler und den Deutschen haben die
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