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Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Titel: Der Krieg, der viele Vaeter gatte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schultze-Rhonhof
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Weimarer Nationalversammlung mit einen Appell an „die Brüder in Böhmen und Österreich". Er beendet seine Rede mit den Worten: „Möge die Zeit nahe sein, da unsere österreichischen Brüder ihren Platz in der großen deutschen Volksgemeinschaft wieder einnehmen werden."
    Am 2. März 1919 versammelt sich in Wien die erste Nachkriegsnationalversammlung zur Eröffnungssitzung. Fast einstimmig – mit Ausnahme einer Handvoll Monarchisten – beschließen die Abgeordneten aus allen vertretenen Parteien, Österreich als Bestandteil Deutschlands anzusehen. Damit wird der Beschluß der Verfassunggebenden Versammlung vom 12. November 1918, der DeutschÖsterreich zu einem Teil der Deutschen Republik erklärt, Gesetz. Noch am gleichen Tage, dem 2. März, unterzeichnen der österreichische Abgeordnete Otto Bauer und der deutsche Außenminister Graf von Brockdorff-Rantzau einen Staatsvertrag zum Anschluß Österreichs an die neue Deutsche Republik. Doch die Siegermächte schieben dieser Art von Selbstbestimmungsrecht der Völker gleich den Riegel vor. Als die österreichische Friedensdelegation in Saint-Germain eintrifft, wird ihr sofort eröffnet, daß es der Republik Österreich verboten ist, sich Deutschland anzuschließen, und daß das besiegte Österreich sich nicht „Deutsch-Österreich" nennen darf. Der Delegationsleiter aus Wien, Staatskanzler Dr. Renner, erhebt Protest, verweist auf Wilsons 14 Punkte und beruft sich auf das von den Siegern selbst proklamierte Selbstbestimmungsrecht der Völker. Er erhält die Antwort, daß dieses Recht keinesfalls auch für die Besiegten gelte. Die Siegermächte hätten so entschieden.

    Die österreichische Delegation kann und darf den Vertrag von Saint-Germain genausowenig mit verhandeln, wie die Deutschen den von Versailles. Es ist lediglich der Austausch von Noten zugelassen. Die fünf Siegermächte USA, Frankreich, England, Japan und Italien, die in Saint-Germain ihr Urteil über Österreich sprechen, legen mit Artikel 88 ihrer Bedingungen für den Frieden fest, daß Österreich auf Dauer unabhängig bleiben muß. Noch während die Sieger in Saint-Germain zusammensitzen, versucht die österreichische Regierung, ihnen und dem

    IMT. Verhandlungen, Band XV, Seite 666 IMT. Verhandlungen, Band XV, Seite 666
    Völkerbund zu zeigen, wie stark der Wille der Bevölkerung ist, dem Deutschen Reiche beizutreten. Sie setzt drei regionale Volksabstimmungen in Tirol, in der Provinz Salzburg und in Oberösterreich an. Die Tiroler Volksbefragung bringt 143.302 Stimmen für den Anschluß und 1.805 dagegen 21 . Das ist ein Votum von 98,7% für die Vereinigung Österreichs mit Deutschland. Die Abstimmungen in Oberösterreich und in Salzburg werden von den Siegern unterbunden. Trotzdem gelingt es einer Bürgerinitiative – wenn auch erst 1921 – in Salzburg die Volksbefragung nachzuholen. Das Ergebnis läßt mit 98.546 Stimmen pro und 877 contra, d.h. mit 99,1% für den Anschluß keine Fragen offen.

    Vier Tage bevor die österreichische Delegation in Saint-Germain das Siegerurteil unterzeichnen muß, am 6. September 1919, verkündet Staatskanzler Dr. Renner noch einmal in der Wiener Nationalversammlung:
    „Deutsch-Österreich wird niemals darauf verzichten, die Wiedervereini
    gung mit dem Deutschen Reich als das Ziel seiner friedlichen Politik zu be
    trachten."
    Das ist ein letztes Aufbegehren. Die nackte Macht des Hungers hat auch Österreich genau wie Deutschland gezwungen nachzugeben. England hat vom Waffenstillstand an bis in den Juli 1919 die Lebensmittelzufuhr nach Deutschland und Österreich durch eine Seeblockade unterbunden, um die Besiegten in Versailles und Saint-Germain zur Unterschrift zu zwingen. In beiden Ländern sind inzwischen fast eine Millionen Menschen den Hungertod gestorben, besonders viele Kinder. Österreich und Deutschland können nun keine Wiederaufnahme der Blockade durch Unterschriftsverweigerung mehr riskieren, denn Großbritannien hat sie angedroht.

    Am 10. September muß die österreichische Regierung den Vertrag von SaintGermain akzeptieren und ihn unterschreiben. Am 21. Oktober muß sie auf Druck der Sieger den Satz aus der Verfassung streichen „Deutsch-Österreich ist ein Bestandteil der Deutschen Republik" – Am 18. Juli 1920 ratifiziert das Parlament in Wien den Vertrag von Saint-Germain, und Österreich steht gegen den Willen der großen Mehrheit seiner Bürger wieder vor der deutschen Tür. Ungeachtet dessen nehmen alle österreichischen Parteien

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