Der Krieg der Welten
Marsleute trug unstreitig viel dazu bei, der erhöhten Schwere ihrer Körper das Gleichgewicht zu halten. Und zweitens übersahen wir die Tatsache, daß die technische Intelligenz der Marsleute sie vollkommen befähigen würde, sich im Notfall ohne jeden Muskelaufwand zu behelfen. Zu jener Zeit aber erwog ich diese Punkte nicht und übersah so die gefährlichen Möglichkeiten jener Eindringlinge. Durch Wein und Speise und die Notwendigkeit, meine Frau zu beruhigen, wurde ich selbst nach und nach beherzter und sorgloser.
"Sie haben eine große Dummheit begangen", sagte ich, mein Weinglas ergreifend; "sie sind gefährlich, weil sie zweifelsohne selbst aus Furcht ganz toll geworden sind. Vielleicht erwarteten sie nicht, hier lebende Wesen zu finden, gewiß aber nicht intelligente Lebewesen. Im schlimmsten Fall wirft man eine Bombe in die Grube. Die wird sie alle töten."
Die ungeheure Aufregung über die letzten Ereignisse hatte meine Auffassungskraft ohne Zweifel in einen Zustand großer Reizbarkeit versetzt. Ich erinnere mich jener Mahlzeit noch jetzt mit großer Deutlichkeit. Das liebliche Gesicht meiner Frau unter dem rosafarbenen Lampenschirm, wie sie mich ängstlich ansah, das weiße Tischtuch mit den silbernen und gläsernen Gerätschaften - denn in jenen Tagen erlaubten sich selbst philosophische Schriftsteller manchen kleinen Luxus -, der purpurrote Wein in meinem Glas, das alles sehe ich fotografisch genau vor mir. Am Ende des Tisches saß ich selbst, spielte mit meiner Zigarette, beklagte Ogilvys Übereifer und verwünschte die kurzsichtige Furchtsamkeit der Marsleute. Ich wußte nicht, daß dies die letzte normale Mahlzeit vor vielen merkwürdigen und schrecklichen Tagen sein sollte.
8. Freitag Nacht
Von allen sonderbaren und erstaunlichen Dingen, die sich an jenem Freitag zutrugen, war für mich am merkwürdigsten das Verhältnis der Alltagsgewohnheiten unserer gesellschaftlichen Ordnung zu den ersten Anzeichen jener Ereignisse, welche diese gesellschaftliche Ordnung über den Haufen werfen sollten. Hätte man am Freitag nacht mit einem Zirkel einen Kreis von fünf Meilen im Halbmesser rund um die Wokinger Sandgruben gezogen, so hätte man - davon bin ich überzeugt - außer etwa den Angehörigen Mr. Stents oder der paar Radfahrer aus London, die tot auf der Weide lagen, kein menschliches Wesen außerhalb dieses Kreises gefunden, dessen Empfindungen oder Gewohnheiten nur im geringsten von den Neuankömmlingen berührt wurden. Viele Leute hatten natürlich von dem Zylinder gehört; wenn sie Zeit hatten, sprachen sie wohl auch davon; sicherlich aber machte die Geschichte längst nicht die Sensation, die etwa ein Ultimatum an Deutschland gemacht haben würde.
In London wurde in jener Nacht das Telegramm des armen Henderson, das die allmähliche Aufschraubung des Geschosses beschrieb, allgemein für eine Ente gehalten, und sein Abendblatt telegraphierte an ihn um eine aufklärende Bestätigung; da aber keine Antwort von ihm eintraf – der Mann war ja tot - beschloß man, keine Sonderausgabe zu veranstalten.
Selbst innerhalb des Fünf-Meilen-Kreises blieb die große Mehrheit der Leute gleichmütig. Das Betragen der Männer und der Frauen, mit denen ich sprach, habe ich schon beschrieben. Im ganzen Umkreis setzten sich die Leute mittags und abends zu Tisch; Arbeiter besorgten nach dem Tagewerk ihren Garten, Kinder wurden zu Bett gebracht; junge Leute und Liebespaare lustwandelten in den Heckenwegen; Gelehrte saßen über ihren Büchern.
Mag sein, daß in den Dorfstraßen Gerüchte umgingen und in den Schenken ein neuer Gesprächsstoff auftauchte, daß ab und zu ein Bote, oder sogar ein Augenzeuge der jüngsten Ereignisse, einen Sturm von Aufregung, wildes Geschrei und erschreckte Zusammenläufe verursachte. Aber im großen und ganzen ging das alltägliche Treiben - Arbeiten, Essen, Trinken, Schlafen weiter wie seit ungezählten Jahren - als ob es keinen Planeten Mars am Himmel gäbe. Selbst auf der Station Woking, in Horsell und in Chobham war das der Fall. Am Knotenpunkt von Woking sah man noch in später Stunde Züge halten und abfahren, andere wurden verschoben, Reisende stiegen aus und warteten, und alles ging in der gewohnten Weise vor sich. Ein Zeitungsjunge von der Stadt verkaufte, unbekümmert um Mr. Smiths Monopol, die Blätter mit den Neuigkeiten des Nachmittags. Das Klirren und Stoßen der Wagen und die gellenden Pfiffe der Lokomotiven vermischten sich mit seinem Geschrei: "Männer vom
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