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Der Krieg der Welten

Der Krieg der Welten

Titel: Der Krieg der Welten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. G. Wells
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übermenschliche Ton - große Schallwogen brandeten die breiten, sonnenhellen Straßen zwischen den hohen Gebäuden auf beiden Seiten hinab. Staunend wandte ich mich nach Norden gegen die eisernen Tore des Hyde Park. Ich überlegte schon, ob ich in das naturhistorische Museum eindringen und auf die Spitze seines Turmes klettern sollte, um über den Park hinüberzusehen. Aber ich entschloß mich, auf der Straße zu bleiben, wo ich mich im Notfall besser verstecken konnte, und so ging ich auf der Exhibition Road weiter. Die großen Miethäuser auf beiden Seiten der Straße waren leer und still, und meine Schritte hauten zwischen den Mauern. Am Ende der Straße, in der Nähe des Parkeingangs bot sich ein seltsamer Anblick - ein umgestürzter Omnibus und das sauber abgenagte Gerippe eines Pferdes. Das machte mich eine Zeitlang stutzig, dann aber ging ich über die Brücke des Serpentine. Die Stimme wurde lauter und lauter, obwohl ich jenseits der Häuserdächer auf der Nordseite des Parkes nichts sehen konnte als einen Rauchschleier im Nordwesten.
    "Ulla, ulla, ulla, ulla", heulte die Stimme, die, wie mir schien, vom Bezirk um den Regent's Park herkam. Der trostlose Schrei lastete mir auf der Seele. Die mutige Stimmung, die mich bisher aufrechterhalten hatte, schwand wieder. Das Klagegeheul wirkte ansteckend. Ich fühlte mich unendlich elend, ermattet und hungrig und durstig.
    Es war schon Mittag vorüber. Warum wanderte ich denn allein umher in dieser Stadt des Todes? Warum blieb ich denn allein zurück, jetzt, da ganz London, in schwarzes Leichentuch gehüllt, auf der Bahre lag? Ich fand meine Vereinsamung unerträglich. Ich dachte an alte Freunde, die ich jahrelang vergessen hatte. Ich dachte an die Gift in den Apotheken, an den Trank, den die Weinhändler aufgespeichert hatten; ich dachte an die zwei weinseligen Geschöpfe der Verzweiflung, die, soviel ich wußte, den Besitz der Stadt mit mir teilten.
    Ich gelangte durch Marble Arch in die Oxfordstreet; hier fand ich wieder schwarzes Pulver und Leichen; ein abscheulicher und verdächtiger Geruch stieg aus den Kellerfenstern einiger Häuser auf. Die Hitze und mein langer Marsch machten mich sehr durstig. Nach unendlicher Mühe gelang es mir, in eine Schenke einzubrechen und etwas zu essen und zu trinken. Nach der spärlichen Mahlzeit wurde ich müde, ging in eine Stube hinter dem Schenktisch und schlief auf einem schwarzen Roßhaarsofa, das ich dort fand, ein.
    Ich erwachte, um jenes schauerliche Geheul noch immer in den Ohren klingen zu hören. "Ulla, ulla, ulla, ulla." Es dämmerte schon, und nachdem ich einige Zwiebackstücke und etwas Käse im Schankzimmer zusammengerafft hatte - das Fleisch war wohl unberührt, aber es bestand fast nur aus Maden - wanderte ich über die ruhigen Wohnplätze der Baker Street - der Portman Square ist der einzige, den ich mit Namen nennen könnte - und gelangte endlich an den Regent's Park. Und als ich aus der Baker Street heraustrat, sah ich in weiter Ferne jenseits der Bäume im klaren Lichte des Sonnenuntergangs die Haube eines Marsriesen, von dem das Geheul ausging. Ich empfand keinerlei Furcht. Ich schritt auf ihn zu, als wäre das eine ganz natürliche Sache. Eine Zeitlang beobachtete ich ihn, aber er rührte sich nicht. Er stand nur da und heulte aus einem Grunde, den ich nicht entdecken konnte.
    Ich versuchte mir einen Plan zu machen Dieses unausgesetzte Geheul, dieses "Ulla, ulla, ulla, ulla", verwirrte meinen Geist. Vielleicht war ich auch zu müde, um Furcht zu haben. Jedenfalls war die Begierde, der Ursache dieses eintönigen Geheuls auf den Grund zu kommen, stärker als meine Furcht. Ich schlug mich in die Park Road mit der Absicht, den Park zu umgehen, ging dann unter dem Schutz der Terrassen immer weiter und bekam nun diesen beständig heulenden Marsmann aus der Richtung von St. John's Wood zu Gesicht. Etwa zweihundert Yards von der Baker Street entfernt hörte ich ein vielstimmiges, wütendes Gekläff und sah erst einen Hund mit einem Stück fauligen, roten Fleisches in den Zähnen blitzschnell auf mich zulaufen und dann eine Meute halbverhungerter Köter, die ihn verfolgten. Er machte einen weiten Bogen, um mir auszuweichen, als fürchtete er, in mir einen neuen Konkurrenten zu finden. Als das Gekläff die breite Straße hinunter erstarb, scholl der klagende Laut des "Ulla, ulla, ulla, ulla" mit verdoppelter Kraft. Auf dem halben Wege zum Bahnhof von St. John's Wood stieß ich auf eine zertrümmerte Greifmaschine.

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