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Der Krieg der Welten

Der Krieg der Welten

Titel: Der Krieg der Welten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. G. Wells
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an bis zu dem albernen Kartenspielen. Etwas in mir sträubte sich heftig. Ich erinnere mich, wie ich in einer Art verschwenderischer Symbolik meine Zigarre wegschleuderte. Meine Narrheit kam mir grell zum Bewußtsein. Ich erschien mir als Verräter an meinem Weibe und an meiner Gattung. Ich war erfüllt von Reue. Ich beschloß, diesen sonderbaren unbeherrschten Träumer großer Dinge seiner Flasche und seinen Gelagen zu überlassen und nach London weiterzugehen. Dort würde ich wohl am ehesten erfahren können, was die Marsleute und meine Mitmenschen jetzt taten. Ich befand mich noch auf dem Dach, als der späte Mond aufging.
     

8. Das tote London
     
    Nachdem ich mich von dem Artilleristen verabschiedet hatte, ging ich den Hügel hinab und durch die High Street über die Brücke nach Fulham. Das rote Gewächs war hier besonders üppig und versperrte fast den Weg zur Brücke; aber seine Zweige waren bereits von der immer weiter um sich greifenden Krankheit, die es so bald und so rasch vernichten sollte, gebleicht. An der Ecke des Weges, der zur Putney Bridge Station führt, sah ich einen Mann liegen. Der schwarze Staub gab ihm das Aussehen eines Schornsteinfegers; er lebte, war aber sinn- und hilflos betrunken. Ich brachte nichts aus ihm heraus als Flüche und wütende Stöße gegen meinen Kopf. Ich glaube, daß ich bei ihm geblieben wäre, hätte der rohe Ausdruck seines Gesichtes mich nicht abgeschreckt.
    Auf der Straße, die von der Brücke weiterlief, lag überall der schwarze Staub, der in Fulham noch dichter wurde. Die Straßen waren grauenvoll still In einem Bäckerladen fand ich etwas zu essen; das Brot war sauer, hart und schimmelig, aber noch genießbar. Etwas weiter gegen Walham Green zu waren die Straßen frei von Pulver; ich kam an einer lichterloh brennenden Häuserreihe hinter einem terrassenartigen Vorsprung vorüber. Der Lärm des Feuers schien mir geradezu eine Erleichterung. In der Richtung nach Brompton fand ich die Straßen wieder ganz still. Hier nun stieß ich abermals auf das schwarze Pulver und auf Menschenleichen. Ich sah auf der Fulham Road alles in allem etwa ein Dutzend. Der Tod hatte diese Leute schon vor vielen Tagen ereilt, so daß ich schleunigst an ihnen vorüberging. Das schwarze Pulver bedeckte sie über und über und milderte ihre Züge. Einer oder zwei waren schon von Hunden entstellt worden. Wo sich kein schwarzes Pulver fand, hatte die Stadt ein merkwürdig sonntägliches Aussehen: die geschlossenen Läden, die festversperrten Häuser, die herabgelassenen Vorhänge, die Verödung, die Stille. In manchen Häusern hatten schon die Plünderer herumgesucht, wenn auch fast nur nach Eßbarem und Wein. In einem Haus fand ich das Schaufenster eines Goldschmieds erbrochen, aber der Dieb war offenbar gestört worden, denn eine Anzahl goldener Ketten und Uhren lagen verstreut auf dem Straßenpflaster. Ich hielt mich nicht auf, die Dinge zu berühren. Etwas weiter fand ich ein zerlumptes Weib zusammengekauert auf einer Türstufe sitzen, an der Hand, die über ihr Knie herabhing, eine klaffende Wunde und Blut auf dem rostbraunen Kleid; eine zerbrochene Champagnerflasche bildete eine Lache auf dem Straßenpflaster. Das Weib schien zu schlafen, war aber tot.
    Je weiter ich in London eindrang, desto tiefer wurde die Stille. Aber es war nicht so sehr die Stille des Todes - es war die Stille des Bangens, der Erwartung. Jeden Augenblick konnte die Zerstörung, welche schon die Nordwestgrenze der Hauptstadt in Brand gesteckt und Ealing und Kilburn zerstört hatte, auch diese Häuser treffen und sie in einen rauchenden Trümmerhaufen verwandeln. Es war eine zum Tode verurteilte, im Stich gelassene Stadt.
    In South Kensington waren weder Leichname noch schwarzes Pulver zu sehen. Es war in der Nähe von South Kensington, als ich das Geheul zum ersten Male hörte. Es schlich sich fast unmerklich in meine Sinne. Es war ein schluchzender Wechsel zweier Töne: "Ulla, ulla, ulla, ulla", klang es unaufhörlich.
    Als ich durch Straßen kam, die nach Norden führten, schwoll es stark an, und Häuser und Mauern schienen es abzuschwächen und endlich zum Schweigen zu bringen. In der Exhibition Road schwoll es zur vollen Kraft an. Ich blieb verwundert stehen, starrte nach den Kensington Gardens und begriff nicht, was dieses ferne Klagegeheul zu bedeuten hatte. Es war, als hätte die gewaltige Häuserwüste eine Stimme für ihre Furcht und ihre Einsamkeit gefunden.
    "Ulla, ulla, ulla, ulla", klagte dieser

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