Der Krieg der Zauberer, Band 2: Das Orkland (German Edition)
über die Ufer schwappende Brandungswasser immer näher zu ihnen kroch, konnte man dem nur zustimmen.
Siebtes Kapitel: Der leere Bierkrug
Lotan der Heiler tigerte wie ein eingesperrtes Tier im Kreis umher, während der Rest der Gefährten auf der staubigen Erde saß und erst einmal seine Wunden leckte. Der Zauberer war so tief in seine Gedanken versunken, dass sich seine Stirn in tiefe Furchen legte und er mit den Händen mehr noch als gewöhnlich an seinem langen Bart rumfingerte. Außerdem nuschelte er die ganze Zeit über irgendetwas in selbigen hinein, sodass einer, der ihn nicht sonderlich gut kannte, spätestens in diesem Moment den Verdacht haben musste, einen alten Tattergreis vor sich zu haben, der nicht mehr ganz richtig im Kopf war.
Ganz zu diesem Eindruck passend, stieß der ältere Mensch in der grauen Gewandung irgendwann an Pandialos herumliegenden Rucksack, wie ein Stück Treibgut, das gegen die Hafenmauer brandet, stolperte darüber und konnte nur noch dadurch, dass er sich flugs mit seinem langen Stab abstützte, verhindern, dass er eine lupenreine Rolle vorwärts hinlegte.
„Verflixt noch eins!“, begann er eine Schimpftirade, was bei ihm wirklich nur dann vorkam, wenn er ernstlich besorgt war. „Daran ist nur diese lange Robe schuld – ich fand diese Dinger ja schon immer total unpraktisch! Wenn ich wieder zu Hause in Pír Cirven bin, werde ich sie sofort zum königlichen Schneider bringen und einen halben Schritt kürzen lassen! Der Kerl versteht wenigstens sein Handwerk! – Abgesehen davon kann ich nicht nachdenken, wenn hier alle ständig durcheinander quatschen!“
„Hab ich dir nicht gesagt, dass du mal fünf Minuten still sein sollst, Fredi?“, blaffte Neimo den anderen Mucklin mit gespielter Empörung an.
„Was ...
ich
? Ich hab’ mindestens seit Stunden kein Sterbenswörtchen gesagt!“, beteuerte das etwas kleinere der beiden kleinen Wesen. Erst als sein Freund ein breites Grinsen nicht mehr unterdrücken konnte, fiel bei ihm der Groschen. „Ach so, du wolltest mich wieder ’mal hochnehmen! Für eine Retourkutsche bin ich jetzt zu müde – später vielleicht“, winkte er ab.
„Wir wär’s, wenn du uns einfach alles erzählst, was du über diese schrägen Typen weißt“, sagte Alva, an Lotan gerichtet. „Damit meine ich diese dunklen Reiter, die hoffentlich von der Flut ertränkt wurden.“ Aus dem Mund einer so zart und unschuldig erscheinenden jungen Frau klangen solche Worte ziemlich hart. Aber gefährliche Abenteuer, Kampf und Tod hatten schon so manch einen von Grund auf verändert.
„Das wäre ein Anfang“, stimmte Sigurd dem zu. Erst danach fiel ihm auf, dass er der Prinzessin gerade Recht gegeben hatte, was er normalerweise rein aus Prinzip zu vermeiden suchte.
„Na gut, na gut“, seufzte der Zauberer und ließ sich in die Hocke nieder. „Viel mehr als Halbwissen und ein paar vage Vermutungen habe ich derzeit allerdings auch nicht zu bieten. Aber so viel kann ich wohl mit Sicherheit behaupten: unsere beiden Verfolger sind weder menschlich noch elbisch noch handelt es sich bei ihnen überhaupt um gewöhnliche lebende Wesen. Wenn mich nicht alles trügt, sind sie
Ghuras
, wandelnde Leichname, oder anders gesagt: Tote, deren Seelen durch Schwarze Magie gebannt wurden und deren Wille einzig noch ihrem Meister gehorcht. Sie sind äußerst gefährliche Gegner, denn sie können zwar nicht mehr sehen, so wie wir Lebenden es tun, doch werfen unsere Gedanken in ihrem Geist Schatten und bewirken, dass sie unsere Nähe sehr genau erspüren können. Ähnlich wie ein Raubtier, das die Angst seiner Beute riecht.
Das besondere an den Schattenkriegern, wie man sie auch nennt, ist, dass sie nach wie vorüber diejenigen Fertigkeiten verfügen, die sie während ihres vergangenen Lebens erworben haben. Das heißt, dass ein einstmals großer Krieger als Ghura eine praktisch unüberwindliche, tödliche Waffe ist, da diese Kreaturen nicht nur keinerlei Furcht kennen, sondern auch noch so gut wie unverwüstlich sind. Na ja, ein sauberes Abtrennen des Kopfes könnte vielleicht helfen, aber das ist, wie gesagt, ein ziemlich gewagtes Unterfangen. Deshalb bin ich mir auch sicher, liebe Prinzessin, dass die Flutwelle sie zwar zeitweilig aufgehalten und zurückgeworfen, aber nie und nimmer getötet hat. Viel wahrscheinlicher ist, dass sie jetzt auf der anderen Seite des Passes auf das Abebben der Brandung warten und dann die Verfolgung wieder aufnehmen, so wie irgendwer es ihnen
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