Der Krieg der Zauberer, Band 2: Das Orkland (German Edition)
den ersten Blick nicht sonderlich spektakulär, da sie sich ja immerhin an einem großen See befanden. Angesichts dessen, dass sie hier bislang noch keinen einzigen Fisch zu Gesicht oder zu Gehör bekommen hatten und die Stille alles in allem so ziemlich vollkommen war, konnte man dies dennoch als ungewöhnlich bezeichnen.
Neimo und Hermeline kniffen ihre Augen zusammen, um mit dem dünnen Zwielicht besser zurecht zu kommen, und als sie so auf die Oberfläche des Lor Brikai hinausspähten, da wuchs ihre Beunruhigung noch weitaus mehr. Sie erkannten nämlich Wellengekräusel, auf dem sich der bleiche Schein des durch den Nebel dringenden Mondes sammelte, schwarzgerändert und sich langsam und gleichmäßig auf das Ufer zuschiebend. Je näher die großen Wellenkreise an ihren Lagerplatz herannahten, desto mehr schien der See zu brodeln, so als ob ganze Heerscharen von hungrigen Raubfischen unter der Wasseroberfläche herangepflügt kämen. Außerdem wehte mit einem Mal ein höchst unangenehmer Geruch zu ihnen herüber, der am ehesten an eine Kloake oder den von Rattenschwärmen bevölkerten Abwasserkanal einer größeren Menschenstadt erinnerte. Mit anderen Worten: es stank abscheulich, und überhaupt erschien die ganze Situation zusehends bedrohlich.
„Aufwachen! Gefahr im Verzug! Da bewegt sich etwas im Wasser auf uns zu!“, riefen die beiden Mucklins mit ihren hellen Stimmen wie aus einer Kehle, da sie sich ihrer Verantwortung als Wachtposten nunmehr bewusst wurden.
„Wovon sprecht Ihr?“, rief Faramon zurück, der gleich darauf als erster neben den Mucklins stand und sofort hellwach war.
„Wenn das wieder so ein falscher Alarm wie letztes Mal mit diesen blauen Geistern ist ...“, meckerte Pandialo, der sich nur widerwillig erhob.
Doch im nächsten Moment wurden alle Zweifel beseitigt. Es gab ein gurgelndes Geräusch, wie von einem großen Schleusentor, das gerade geöffnet wurde und eine mächtige Flut durch einen Deich strömen ließ, und dann schraubte sich eine unvorstellbar riesige Gestalt aus dem See empor, kaum zehn Schritt vom Standort der Gefährten entfernt. Die Kreatur besaß einen schlangengleichen Körper mit gekrümmten, nassglänzenden Fangarmen, deren gefingerten Enden wohl hauptsächlich vorhanden waren, um Futter in den monströsen Schlund zu schieben. Es war ein fleischgewordener Albtraum, der vor ihnen im Nebel Form angenommen hatte, und alle, selbst die tapfersten von ihnen, fühlten, wie ihre Herzen so sehr zu Eis gefroren, wie es nicht einmal im Angesicht des Sar’Marlak oder des Drachen Gorgon der Fall gewesen war. Hier war eine Macht am Werk, die noch kälter und entsetzlicher als selbst die allerältesten Geschichten und Überlieferungen war, und deren archaische Urgewalt aus den ersten Tagen der Schöpfung Orgards entstammte.
Während die Angehörigen der Gemeinschaft in Hilflosigkeit erstarrt dastanden, wandte das gigantische Wesen seinen Kopf hinab und blickte sie aus seinen übergroßen, trüben Augen an. Cord glaubte daraufhin, dass er alle Kälte, die er jemals in seinem Leben hatte ertragen müssen (und das war so einige gewesen), in diesen Augen lesen konnte, und wie alle anderen wurde er von einer niemals gefühlten Starrheit gepackt. Jeden Augenblick würde eines der Tentakel hinabschnellen, ihm und seinen Mitstreitern die Luft aus dem Leib pressen und sie anschließend für immer eins mit dem Nebel werden lassen.
„Seht nicht hin!“, erhob sich plötzlich die schneidende, wenn auch heißere Stimme von Lotan dem Heiler und weckte sie aus ihrer Hoffnungslosigkeit. „Es ist ein Basilisk, und allein sein Blick vermag uns zu töten!“
Dann wedelte der Zauberer mit seinem Stab, wobei seinen mühevollen Bewegungen anzumerken war, dass er gegen eine immense Kraft ankämpfte, und ein großflächiges bläuliches Schimmern, ein flirrender Schutzschild wurde in die Luft zwischen sie und die feindliche Kreatur gewebt. Augenblicklich wurde der Bann, der auf den Gefährten gelegen hatte, gebrochen, und die klamme Starre fiel kurzerhand von ihnen. Dennoch fühlten sie sich nunmehr so ausgemergelt und schwach wie ein nasser Schwamm, den man ausgepresst hatte, und sie konnten sich gut vorstellen, dass Lotan recht hatte und der Blick des Wesens sie in Kürze getötet hätte.
Doch was sollten sie nun tun? Der weißbärtige, ältere Mensch erhielt seinen Schutzzauber vorläufig aufrecht und beschirmte sie vor der todbringenden Gewalt des Basilisken, doch wie lange würde er das
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