Der Krieg der Zwerge
Gleichgewicht und fiel darüber. Tungdil ließ den Griff seiner Waffe los, er wollte ihr keinen Halt bieten. Er schaute über den Rand des Geländers und sah, wie die Eoîl in die Tiefe stürzte. Zweimal streifte sie dabei die sandfarbene Wand des Turms, Blutwolken sprühten auf, als ihr Fleisch von den Knochen geschält wurde. Letztlich zerschellte sie am Fuße des Bauwerkes, ihr dünner Leib wurde durch den Aufprall zerrissen.
Die Götter standen nicht auf deiner Seite, dachte der Zwerg erleichtert beim Anblick des zerstörten Körpers. Er berührte die Schließe, hinter der er den Diamanten trug. »Ich wusste, warum ich mir Sorgen gemacht habe«, hörte er Rodario hinter sich stöhnen, der sich die Hände vor den Bauch hielt und die Blutung aufzuhalten versuchte. »Aber hier von der Bühne zu fallen, wäre schlimmer gewesen.« Tungdil humpelte zu ihm, ein Blick genügte. »Es ist die linke Seite, die verletzt wurde. Der Stich ist weit genug unten, dass dir das Spitzohr deine wichtigen Organe nicht durchbohren konnte«, machte er ihm Mut. »Ich gehe und …« Er hörte Schritte und das Scheppern von Rüstungen, welche die Treppe heraufkamen. »Es ist noch nicht vorbei.« Der Zwerg stellte sich schützend vor den Verletzten, in seiner Not zog er den Dolch, um den Männern der Eoîl begegnen zu können. Eine kleine, gerüstete Gestalt sprang aus der Türöffnung, den Krähenschnabel schwingend. Als sie sah, dass es nichts mehr zu bekämpfen gab, stellte sie die Waffe auf den Boden, schob das Helmvisier quietschend nach oben und zeigte ihr furchiges, bärtiges Gesicht. Vorwurfsvoll schaute sie zuerst auf Tungdil, dann auf den Dolch. »Was denn, Gelehrter? Hast du deine Axt etwa schon wieder geworfen?«
* Die Zwerge hielten sich nicht mit langen Erklärungen auf. Tungdil und Boïndil stiegen die Treppe nach unten, vorbei an dem Durchbruch, den das Wesen des Eoîl am Fuß des Turms geschaffen hatte, und gelangten tiefer in die Gewölbe des Palasts. Ingrimmsch führte Tungdil, denn er wusste genau, wo sich der Ursprung der Quelle befand. »Ich glaube, sie hat meinen Sturz aufgefangen«, berichtete er unterwegs. »Ich fiel lange und hatte Zeit genug, zu Vraccas zu beten, als ich plötzlich langsamer wurde und das Eisen um meinen Leib immer heißer wurde. Dann schwebte ich und glitt langsam wie eine Feder zu Boden.« Er deutete hinunter in die Schwärze. »Da unten, da muss die Quelle sein. Ich wäre genau in sie hineingefallen.« »Die Rüstung hat dich wahrscheinlich gerettet«, mut maßte Tungdil. »Balyndis wird stolz sein, wenn sie hört, was das Geborgene Land und wir ihr alles zu verdanken haben.« Die Erde rumorte unter ihren Füßen. Dieses Mal hielt das Beben lange an, Steinstaub rieselte herab, die Mauer des Turmes zerrieb sich durch die ständigen Erschütterungen, und Tungdil glaubte, einen Riss in dem Bauwerk zu erkennen. Schon ging das Rütteln in ein beständiges Zittern über.
»Ist die Quelle sehr weit unten?«, fragte er mit zu sammengebissenen Zähnen. Die Schmerzen in seinem verletzten Oberschenkel waren kaum mehr zu ertragen, doch er nahm sich Boïndil zum Vorbild, dem es mit seiner durchstochenen Schulter nicht besser erging. »Es sind schon einige Stiegen. Ich habe lange gebraucht, bis ich wieder bei euch war«, gab er zurück. »Ich sagte doch, dass der Turm mangelhaft gebaut ist.« Er dachte dabei an die flaschenzugähnlichen Aufzüge, wie sie die Ersten im Roten Gebirge konstruiert hatten. Damit wäre es möglich gewesen, den Höhenunterschied in wenigen Lidschlägen zu überbrücken. »Die Magi sind sicherlich hinaufgeflogen«, brummte er und stützte seinen Freund. Sie gelangten auf den mit Teppichen ausgeschlagenen Boden des Gewölbes. Genau in der Mitte war eine Aus sparung, wo mystische Zeichen auf dem Stein prangten. Tungdil hatte mit einem Loch, einer Vertiefung oder irgend einer Einfassung gerechnet, wie man es bei einer Quelle er wartete. Anscheinend verhielt es sich bei Magie anders als bei Wasser.
Ingrimmsch schaute skeptisch auf die kahle Stelle, hielt prüfend die Hand darüber, doch es geschah nichts. »Sie tut nichts mehr.« Der Zwerg nahm die Kristallfassung mit dem Diamanten heraus. »Hoffen wir, dass wir es rückgängig machen können.« Bedächtig legte er sie auf den blanken Stein zwischen den Symbolen und Runen, dann warteten sie gespannt. Das Rütteln ließ nicht nach, es verstärkte sich sogar. Sie vernahmen, wie das Fundament des gewaltigen Turms um sie herum bröckelte,
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