Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)
würde, mich beweisen konnte. Woher sollte ich wissen, was Blut bedeutete?
Die erste Gardedivision der Volkswehr wurde aufgestellt, und wir, ein paar Mädchen, kamen ins Sanitätsbataillon.
Ich rief die Tante an: ›Ich gehe an die Front.‹
Vom anderen Ende der Leitung kam die Antwort: ›Marsch nach Hause! Das Essen ist schon kalt.‹
Ich hängte ein. Hinterher tat sie mir leid. Unheimlich leid. Die Blockade begann, die schreckliche Leningrader Blockade, bei der die halbe Stadt ausstarb, und sie war ganz allein. Und alt.
Ich erinnere mich an einen Ausgang. Ich ging nicht gleich zur Tante, sondern erst in einen Laden. Vorm Krieg hatte sie schrecklich gern Konfekt gegessen. Ich sage: ›Ich hätte gern Konfekt.‹
Die Verkäuferin sieht mich an, als wäre ich verrückt. Ich hatte keine Ahnung von Lebensmittelkarten, von der Blockade. Alle Leute in der Schlange schauen mich an – mein Gewehr ist größer als ich. Als damals die Gewehre ausgegeben wurden, hatte ich gedacht: Wann werde ich wohl groß genug sein für dieses Gewehr? Und auf einmal bitten alle, die ganze Schlange: ›Geben Sie ihr Konfekt. Auf unsere Marken.‹ Und ich bekam welches.
Auf der Straße wurde für die Fronthilfe gesammelt. Direkt auf dem Platz standen Tische mit großen Tabletts, die Leute kamen, der eine nahm seinen goldenen Ring ab, der Nächste seine Ohrringe ... Uhren brachten sie, Geld ... Niemand schrieb etwas auf, niemand bekam eine Quittung ... Frauen zogen ihre Eheringe ab ... Solche Bilder ...
Und dann gab es den Befehl Nummer zweihundertsiebenundzwanzig – keinen Schritt zurück! Wer das tut, wird erschossen! Hinter uns liefen die Sperrtruppen. Sie schossen ... Dieser Befehl machte mich schlagartig erwachsen.
Wir schliefen tagelang nicht, so viele Verwundete gab es. Einmal hatten wir drei Tage nicht geschlafen. Ich wurde mit einem Auto voller Verwundeter ins Lazarett geschickt. Ich lieferte die Verwundeten ab, auf dem Rückweg war das Auto leer, und ich schlief mich aus. Zurück kam ich frisch und munter, während alle anderen sich kaum auf den Beinen halten konnten.
Ich traf den Kommissar.
›Genosse Kommissar, ich schäme mich.‹
›Wieso?‹
›Ich habe geschlafen.‹
›Wo?‹
Ich erzählte ihm, dass ich die Verwundeten begleitet und mich auf der Rückfahrt ausgeschlafen hatte.
›Na und? Gut gemacht! Ist wenigstens einer hier ein normaler Mensch, die anderen schlafen ja alle schon im Gehen ein.‹
Ich aber schämte mich. Und mit so einem schlechten Gewissen lebten wir den ganzen Krieg.
Im Sanitätsbataillon wurde ich gut behandelt, aber ich wollte zu den Aufklärern. Ich erklärte, ich würde an die vorderste Linie abhauen, wenn man mich nicht wegließe. Ich wurde beinahe aus dem Komsomol ausgeschlossen. Aber ich lief trotzdem weg ...
Die erste Medaille ›Für Tapferkeit‹ ...
Das Gefecht beginnt. Heftiges Artilleriefeuer. Die Soldaten werfen sich zu Boden. Da kommt das Kommando: ›Vorwärts! Für die Heimat!‹, doch sie bleiben liegen. Noch einmal das Kommando, sie bleiben immer noch liegen. Ich nehme meine Mütze ab, damit alle sehen: Ein Mädchen steht auf ... Da stehen sie auch alle auf, und wir gehen ins Gefecht ...
Ich bekam die Medaille überreicht, und noch am selben Tag gingen wir wieder auf Erkundung. Und da bekomme ich zum ersten Mal im Leben ... Na ja ... Die Frauensache ... Ich sehe das Blut und schreie los: ›Ich bin verwundet ...‹
Wir hatten einen Feldscher dabei, einen älteren Mann. Er fragt mich: ›Wo bist du verwundet?‹
›Ich weiß nicht, wo. Aber ich blute ...‹
Er hat mir wie ein Vater alles erklärt.
Nach dem Krieg bin ich noch gut fünfzehn Jahre auf Erkundung gegangen. Jede Nacht ... Und immer die gleichen Träume: Mal versagt meine MP , mal sind wir umzingelt ... Du wachst auf vom eigenen Zähneknirschen ...
Als der Krieg vorbei war, hatte ich drei Wünsche: Erstens – endlich nicht mehr auf dem Bauch kriechen, sondern O-Bus fahren, zweitens – ein ganzes Weißbrot kaufen und aufessen, drittens – ausschlafen, in schneeweißer Bettwäsche, die Laken müssen knistern. Weiße Laken ...«
Albina Alexandrowna Gantimurowa ,
Unterfeldwebel, Aufklärerin
»Ich erwartete das zweite Kind. Mein Sohn war zwei Jahre alt, und ich war wieder schwanger. Da kam der Krieg. Mein Mann war an der Front. Ich fuhr zu meinen Eltern und machte ... Na ja, verstehen Sie? Eine Abtreibung. Obwohl das damals verboten war ... Aber jetzt noch ein Kind? Es war Krieg! Überall Tränen
Weitere Kostenlose Bücher