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Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Titel: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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rauskamen, standen die Sanitäterin Dascha und ich auf aus dem Graben, aus der Deckung, standen in voller Größe da – lieber den Kopf von einer Granate weggerissen, als in Gefangenschaft geraten, wo sie uns erniedrigen würden. Auch die Verwundeten standen auf, wer noch konnte ...
    Als ich den ersten faschistischen Soldaten sah, brachte ich kein Wort raus, es verschlug mir die Sprache. Sie waren alle so jung, waren fröhlich und haben gelächelt. Und egal, wo sie Rast machten, wenn sie einen Brunnen oder eine Pumpe entdeckten, dann wuschen sie sich gleich. Sie hatten immer die Ärmel hochgekrempelt. Sie wuschen sich immerzu ... Ringsum Blut und Schreie, und sie wuschen sich ... Da stieg so ein Hass in mir hoch ... Als ich nach Hause kam, musste ich zweimal die Bluse wechseln. So sehr protestierte alles in mir dagegen, dass sie hier waren. Ich konnte nachts nicht schlafen. Unsere Nachbarin Klawa, die war schlagartig gelähmt, als sie sah, dass sie auf unserer Erde herumlaufen ... In ihrem Haus ...«
    Maria Wassiljewna Shloba ,Partisanin
    »Die Deutschen kamen auf Motorrädern ins Dorf. Ich starrte sie aus weit aufgerissenen Augen an: Sie waren jung und fröhlich, sie lachten die ganze Zeit. Dröhnend laut! Mir stockte das Herz, weil sie hier waren, auf unserem Boden, und auch noch lachten.
    Ich träumte nur von Rache ... Ich stellte mir vor, ich würde sterben, und dann schreibt jemand ein Buch über mich ...
    Dreiundvierzig kam meine Tochter zur Welt. Da waren mein Mann und ich schon bei den Partisanen. Ich habe sie im Sumpf geboren, auf einem Strohhaufen. Die Windeln hab ich an meinem Körper getrocknet, sie auf meinem Bauch gewärmt und dann damit das Kind gewickelt. Ringsum stand alles in Flammen, sie haben die Dörfer verbrannt. Mitsamt den Menschen darin. Auf großen Scheiterhaufen verbrannten sie die Menschen ... In Schulen ... In Kirchen ... Meine kleine Nichte fragte mich: ›Tante Manja, wenn ich verbrenne, was bleibt dann von mir übrig? Nur meine Schuhe ...?
    Ich habe selbst Brandreste eingesammelt. Die Familie meiner Freundin. Wir fanden Knochen, und wenn noch ein Stück Kleidung übrig war, erkannten wir daran, wer das war. Ich hebe ein Stück Stoff hoch, sie sagt: ›Mamas Jacke ...‹, und fällt um. Die Knochen sammelten wir in Laken, in Kissenbezügen – was jeder so an Sauberem hatte. Dann legten wir sie in ein Gemeinschaftsgrab. Nur weiße Knochen. Oder Knochenasche. Ich erkannte sie schon ... Konnte sie unterscheiden ... Sie ist ganz weiß ...
    Danach hatte ich keine Angst mehr, egal, wohin man mich schickte. Mein Kind war noch klein, drei Monate alt, und ich nahm es mit. Wenn der Kommissar mich zu einem Auftrag schickte, weinte er: ›Es zerreißt mir das Herz.‹ Ich holte aus der Stadt Medikamente, Mullbinden und Serum. Das legte ich dem Kind zwischen Ärmchen und Beinchen und wickelte die Windel darüber. Im Wald starben die Verwundeten. Ich musste einfach gehen. Niemand sonst kam durch, überall standen Posten, Deutsche und Polizisten, nur ich kam durch. Mit dem Wickelkind ...
    Heute fällt es mir schwer, das zu erzählen ... Ach, es war schlimm! Damit das Kind Fieber bekam und weinte, hab ich es mit Salz eingerieben. Es wurde ganz rot, bekam Ausschlag und schrie wie am Spieß. Wenn mich ein Posten anhielt, sagte ich: ›Typhus, Pan, Typhus ...‹ Sie jagten mich weg, damit ich schnell weiterging: ›Weg! Weg!‹ Ja, ich rieb es mit Salz ein und legte Knoblauch dazu. So ein kleines Baby ... Gerade drei Monate alt, als ich es das erste Mal mitnahm ... Ich stillte es noch.
    Wenn wir die Posten passiert hatten, ging ich in den Wald und weinte und weinte. Ich schrie! So sehr tat mir das Kind leid. Aber nach ein, zwei Tagen ging ich wieder los. Es musste sein ...«
    Maria Timofejewna Sawizkaja-Radjukewitsch ,Partisanin
    »Ich lernte den Hass kennen ... Sofort. Einen solchen Hass! Wie konnten sie auf unserem Boden herumlaufen! Wer waren sie denn ... Woher ... Ich hatte nur Hass im Herzen. So sehr, dass ich Fieber bekam. Fieber von diesen Bildern ... Weil sie hier waren ...
    Ich habe so viel Blut und Tote auf den Straßen gesehen. So viele ... Unsere Gefangenen ... Wenn eine Kolonne vorbeizog, blieben Hunderte Leichen am Wegrand liegen. Die Menschen waren völlig entkräftet, sie fielen um. Und wurden erschossen. Wie tollwütige Hunde. Niemand beklagte mehr die Toten. Niemand weinte um sie. Die Tränen waren versiegt.
    Wir gingen alle in den Wald: Vater, meine Brüder und ich. Zu den Partisanen.

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