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Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Titel: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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da.‹ Mir wurde rasch der Kopf verbunden und der linke Oberarm, dann ging ich das Abendbrot holen. Mir war schwarz vor den Augen, der Schweiß lief mir in Strömen. Ich teilte das Abendessen aus und fiel um. Als ich wieder bei Bewusstsein war, hörte ich nur: ›Schnell! Schneller!‹ Nach ein paar Tagen wurde mir noch Blut abgenommen für Schwerverwundete. Die Menschen starben ...
    Jetzt ist bei uns alles wieder aufgebaut, alles ertrinkt in einem Blumenmeer, aber mich quälen furchtbare Schmerzen, ich habe kein weibliches Gesicht mehr. Ich weine oft, stöhne jeden Tag. Wegen der Erinnerungen. Im Krieg habe ich mich so verändert, dass meine Mutter mich nicht erkannte, als ich nach Hause kam. Man hatte mir gezeigt, wo sie wohnt, und ich ging hin, klopfte an.
    ›Ja, ja.‹
    Ich trat ein, grüßte und sagte: ›Lassen Sie mich übernachten.‹
    Mama heizte gerade den Ofen, und meine beiden kleinen Brüder saßen auf einem Haufen Stroh auf dem Fußboden, nackt, sie hatten nichts anzuziehen. Mama erkannte mich nicht und sagte: ›Sie sehen doch, wie wir leben, Bürgerin. Gehen Sie weiter, bevor es dunkel wird.‹
    Ich ging näher zu ihr, und sie fing wieder an: ›Bürgerin, gehen Sie weiter, bevor es dunkel wird.‹
    Ich beugte mich zu ihr, umarmte sie: ›Mama, Mamotschka!‹
    Da stürzten sie sich alle auf mich ... Heulten los ...
    Ich weiß nicht, wann das je aufhört ... Mein Krieg ... Ich lache nie ... Ich habe bis heute nicht einmal lächeln gelernt ... Es gibt keine Bücher, keine Filme, die vergleichbar wären mit dem, was ich erlebt habe ...«
    Xenia Sergejewna Ossadtschewa ,
    Soldatin, Wirtschaftsschwester

Über den Geruch der Angst und
einen Koffer voll Konfekt
    »Als ich an die Front ging, war ein wunderschöner Tag ... Helle Luft und ein ganz feiner Regen. Das war so schön! Ich ging am Morgen hinaus, blieb stehen: Sollte ich etwa nie wieder herkommen? Unseren Garten nie wieder sehen ... Unsere Straße ... Mama weinte, hielt mich fest und wollte mich nicht loslassen. Ich ging, sie holte mich ein, umarmte mich und hielt mich fest ...«
    Olga Mitrofanowna Rushnizkaja ,Krankenschwester
    »Sterben ... Vor dem Sterben hatte ich keine Angst. Das machte wohl die Jugend oder etwas anderes, Unerklärliches ... Ich war umgeben vom Tod, der Tod war immer da, aber ich dachte nicht an ihn. Beachtete ihn nicht. Er war immer ganz nah, aber er traf mich nie. Einmal ging an unserem Abschnitt eine ganze Kompanie nachts auf Kampfaufklärung. Im Morgengrauen kam sie zurück, doch vom Niemandsland drang Stöhnen. Ein Verwundeter. ›Bleib hier, sie töten dich‹, hielten die Soldaten mich zurück, ›du siehst doch, es wird schon hell.‹
    Ich hörte nicht auf sie und kroch los. Ich fand den Verwundeten, schleppte ihn acht Stunden lang, mit dem Koppel am Arm festgebunden. Ich brachte ihn lebend zurück. Der Kommandeur erfuhr davon und gab mir fünf Tage Arrest wegen eigenmächtigen Entfernens von der Truppe. Der stellvertretende Regimentskommandeur dagegen reagierte anders: ›Sie hat eine Auszeichnung verdient.‹ Ich verstand alle beide.
    Mit neunzehn besaß ich die Medaille ›Für Tapferkeit‹. Mit neunzehn bekam ich graues Haar. Mit neunzehn wurde ich beim letzten Gefecht verwundet, ein beidseitiger Lungendurchschuss, die zweite Kugel ging zwischen zwei Wirbeln durch. Meine Beine waren gelähmt, man hielt mich für tot ... Als ich nach Hause kam, zeigte meine Schwester mir die Todesnachricht ...«
    Nadeshda Wassiljewna Anissimowa ,
    Sanitätsinstrukteurin einer MG-Kompanie
    »An meine Mutter kann ich mich nicht erinnern ... Nur an die Umrisse ihres Gesichts ... So schien es mir später. Als Mama starb, war ich drei. Mein Vater diente im Fernen Osten, als Berufsoffizier. Er brachte mir das Reiten bei. Das ist meine stärkste Kindheitserinnerung. Vater war es sehr wichtig, dass ich nicht als Zierpüppchen aufwuchs. In Leningrad, daran erinnere ich mich seit meinem fünften Lebensjahr, lebte ich bei meiner Tante. Meine Tante war im Russisch-Japanischen Krieg Barmherzige Schwester gewesen. Ich liebte sie ...
    Wie ich als Kind war? Ich bin wegen einer Wette aus dem ersten Stock der Schule gesprungen. Ich spielte gern Fußball, immer als Torwart bei den Jungen. Als der Finnische Krieg ausbrach, riss ich dauernd aus, wollte in den Krieg. Einundvierzig hatte ich gerade die siebte Klasse abgeschlossen und mich am Technikum beworben. Die Tante weinte: ›Es ist Krieg!‹, aber ich freute mich, dass ich nun an die Front gehen

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