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Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Titel: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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...
    Ich absolvierte eine Ausbildung als Chiffriererin und wurde an die Front geschickt. Ich wollte Rache für mein Kind, dafür, dass ich es nicht geboren hatte. Es war nicht auf die Welt gekommen. Es wäre ein Mädchen geworden ...
    Ich bat um Versetzung an die vorderste Linie. Aber sie behielten mich im Stab ...«
    Ljubow Arkadjewna Tscharnaja ,
    Unterleutnant, Chiffriererin
    »Alle gingen weg aus der Stadt ... Alle ... Am Mittag des achtundzwanzigsten Juni einundvierzig versammelten auch wir Studenten des Pädagogischen Instituts Smolensk uns im Hof der Druckerei. Die Versammlung war kurz. Wir verließen die Stadt auf der alten Smolensker Straße in Richtung der Stadt Krasnoje. Der Sicherheit halber teilten wir uns in Gruppen auf. Am Ende des Tages ließ die Hitze nach, das Laufen fiel leichter, wir liefen schneller, ohne uns umzusehen. Erst als wir unseren Rastplatz erreichten, blickten wir nach Osten. Der ganze Horizont war purpurrot, aus vierzig Kilometern Entfernung sah es aus, als reiche diese Röte über den ganzen Himmel. Uns war klar – da brannten mehr als zehn oder hundert Häuser. Da brannte ganz Smolensk ...
    Ich besaß ein neues, luftiges Kleid mit Rüschen. Das gefiel meiner Freundin Vera sehr. Sie probierte es mehrmals an. Ich versprach, es ihr zur Hochzeit zu schenken. Sie wollte heiraten. Einen sehr netten Jungen.
    Und nun war auf einmal Krieg. Wir gingen in die Schützengräben. Unsere Sachen gaben wir beim Leiter des Wohnheims ab. Und das Kleid? ›Hier, nimm, Vera‹, sagte ich, als wir die Stadt verließen.
    Sie nahm es nicht. Das Kleid ist in dem großen roten Feuer verbrannt.
    Wir liefen die ganze Zeit und drehten uns nicht um. Wir hatten das Gefühl, als würde unser Rücken versengt. Die ganze Nacht liefen wir, und im Morgengrauen gingen wir an die Arbeit. Panzergräben ausheben. Sieben Meter breit und drei Meter tief. Ich grabe, der Spaten brennt wie Feuer, der Sand kommt mir rot vor. Vor mir sehe ich unser Haus mit den Blumen und dem Flieder ...
    Wir lebten in Laubhütten auf einer Schwemmwiese zwischen zwei Flüssen. Es war heiß und feucht. Massenhaft Mücken. Vor dem Schlafengehen räucherten wir sie aus, aber in der Morgendämmerung drangen sie trotzdem wieder ein, man konnte nicht ruhig schlafen.
    Von dort brachte man mich in die Sanitätsstation. Da lagen wir zusammengepfercht auf dem Fußboden, viele wurden damals krank. Ich hatte hohes Fieber, Schüttelfrost. Ich liege auf dem Boden und weine. Die Zelttür geht auf, die Ärztin sagt an der Schwelle (weiter kann sie nicht rein, die Matratzen liegen dicht an dicht): ›Iwanowa, Plasmodium malariae im Blut.‹ Das war ich. Sie konnte nicht wissen, dass es für mich nichts Schlimmeres gab als dieses Plasmodium, seit ich in der sechsten Klasse in einem Schulbuch davon gelesen hatte. Plötzlich dröhnte aus dem Lautsprecher das Lied: ›Steh auf, steh auf, du Riesenland ...‹ Ich hörte es zum ersten Mal. Wenn ich wieder gesund bin, dachte ich, dann gehe ich sofort an die Front.
    Ich wurde nach Koslowka gebracht – in der Nähe von Rostislawl. Sie verfrachteten mich auf eine Bank, ich sitze, brauche alle Kraft, um nicht umzufallen, und höre wie im Schlaf: ›Die hier?‹ – ›Ja‹, bestätigt der Feldscher.
    ›Bringen Sie sie in die Kantine. Geben Sie ihr erst mal was zu essen.‹
    Dann lag ich im Bett. Sie können sich ja vorstellen, was das hieß – nicht auf der Erde am Feuer, nicht unter einer Zeltbahn unterm Baum, sondern im Lazarett, im Warmen. Auf einem Laken. Ich schlief sieben Tage durch. Hinterher erzählten sie mir, die Schwestern hätten mich immer geweckt und gefüttert, aber ich konnte mich an nichts erinnern. Als ich nach sieben Tagen aufwachte, kam der Arzt, untersuchte mich und sagte: ›Ein kräftiger Körper, sie schafft es.‹
    Dann schlief ich wieder ein.
    Das Schlimmste im Krieg war der Kampf gegen den Schlaf. Bei der Arbeit merkte man es nicht so, aber sobald eine Pause eintrat, konnte man sich kaum auf den Beinen halten. Auf Wachposten lief ich immer auf und ab und sagte laut Gedichte auf. Andere Mädchen sangen ...«
    Valentina Pawlowna Maximtschuk ,Flakartilleristin
    »Wir brachten Verwundete aus Minsk raus ... Ich lief auf hohen Absätzen rum, ich genierte mich, weil ich so klein war. Ein Absatz brach ab, und plötzlich hieß es: ›Fallschirmjäger!‹ Ich renne barfuß los, die Schuhe in der Hand, war doch schade um sie – so schöne Schuhe!
    Als wir umstellt waren und sahen, dass wir nicht mehr

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