Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)
denn ich begriff nicht, dass da auch gekämpft wird. Der Divisionskommandeur kam, wir mussten alle antreten. Unter uns war eine gewisse Maschenka Sungurowa. Diese Maschenka tritt also vor: ›Genosse General, gestatten Sie, ein Anliegen vorzutragen.‹
Er sagt: ›Bitte, tragen Sie vor, tragen Sie vor, Soldat Sungurowa!‹
›Soldat Sungurowa bittet, sie vom Dienst bei den Nachrichtentruppen zu entbinden und sie dorthin zu versetzen, wo geschossen wird.‹
Verstehen Sie, so empfanden wir alle. Wir meinten, das, was wir taten, Nachrichtenübermittlung, das sei sehr wenig, sogar demütigend für uns, nur die vorderste Kampflinie zähle.
Der General hörte sofort auf zu lächeln.
›Meine lieben Mädelchen! (Und Sie hätten uns sehen müssen, wie wir damals aussahen – zu wenig Essen, zu wenig Schlaf, kurzum, er sprach zu uns nicht wie ein Kommandeur, sondern wie ein Vater.) Ihr versteht wahrscheinlich eure Rolle an der Front nicht ganz – ihr seid unsere Augen und Ohren, eine Armee ohne Nachrichten, das ist wie ein Mensch ohne Blut.‹
Maschenka Sungurowa platzte als Erste heraus: ›Genosse General! Soldat Sungurowa ist bereit, jeden Auftrag von Ihnen wie eine Eins zu erfüllen!‹
Im Juni dreiundvierzig wurde uns das Regimentsbanner überreicht, da bestand unser Regiment, das hundertneunundzwanzigste Nachrichtenregiment der fünfundsechzigsten Armee, schon zu achtzig Prozent aus Frauen. Also, was ich sagen will, damit Sie eine Vorstellung bekommen ... Was in uns vorging; solche Menschen, wie wir damals waren, die wird es wohl nie mehr geben. Niemals! So naiv, so aufrichtig. Voller Liebe und Glauben. Als unser Kommandeur das Banner in Empfang nahm und das Kommando gab: ›Regiment, unter die Fahne! Auf die Knie!‹, da waren wir alle glücklich. Man erwies uns Vertrauen, wir waren nun ein Regiment wie jedes andere auch, wie ein Panzer- oder Schützenregiment. Wir standen da und weinten, jede hatte Tränen in den Augen. Das werden Sie jetzt nicht glauben, aber diese Erschütterung ergriff meinen ganzen Körper, und meine Krankheit, ich war nachtblind geworden, von der mangelhaften Ernährung, also meine Nachtblindheit war auf einmal weg. Verstehen Sie, am nächsten Tag war ich wieder gesund, eben durch diese seelische Erschütterung ...«
Maria Semjonowna Kaliberda ,
Feldwebel der Nachrichtentruppen
»Ich war gerade erwachsen geworden ... Am neunten Juni einundvierzig war ich achtzehn geworden, erwachsen. Und zwei Wochen später begann dieser verfluchte Krieg, zwölf Tage danach. Wir wurden zum Bau der Eisenbahnstrecke Gagra–Suchumi geschickt. Lauter junge Leute. Ich erinnere mich, was für Brot wir aßen. Mehl war da fast keins drin, dafür alles Mögliche, am meisten aber Wasser. Wenn es eine Weile in der Sonne lag, dann bildete sich darum eine Pfütze, die leckten wir dann auf.
Zweiundvierzig meldete ich mich freiwillig zum Dienst im Durchgangslazarett dreitausendzweihunderteins. Das war ein sehr großes Frontlazarett, es gehörte zur Transkaukasus- und zur Nordkaukasus-Front und zur separaten Küstenarmee. Es wurde erbittert gekämpft, es gab viele Verwundete. Ich wurde zur Essensausgabe eingeteilt – ein Vierundzwanzigstundendienst, morgens, wenn schon das Frühstück ausgegeben werden musste, waren wir mit dem Abendbrot noch nicht fertig. Nach einigen Monaten wurde ich am linken Bein verwundet – ich hüpfte auf dem rechten herum, arbeitete weiter. Dann wurde ich noch zur Wirtschaftsschwester ernannt, da musste ich auch rund um die Uhr auf meinem Posten sein. Ich lebte faktisch dort.
Am dreißigsten Mai dreiundvierzig um Punkt ein Uhr mittags gab es einen massiven Fliegerangriff auf Krasnodar. Ich rannte hinaus, um zu sehen, ob der Zug mit den Verwundeten rechtzeitig vom Bahnhof abgefahren war. Zwei Bomben trafen den Schuppen, wo die Munition lag. Vor meinen Augen flogen die Kisten höher als ein fünfstöckiges Haus und explodierten. Ich wurde von einer orkanartigen Welle gegen eine Ziegelmauer geschleudert. Ich verlor das Bewusstsein ... Als ich zu mir kam, war es sechs Uhr abends. Ich hob den Kopf, versuchte, die Finger zu bewegen – schien alles in Ordnung; mühsam kratzte ich das linke Auge frei und ging auf meine Station, voller Blut. Auf dem Flur traf ich unsere Oberschwester, sie erkannte mich nicht, fragte: ›Wer sind Sie? Wo kommen Sie her?‹ Dann kam sie näher, erschrak und sagte: ›Wo hast du dich so lange rumgetrieben, Xenia? Die Verwundeten sind hungrig, und du bist nicht
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