Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)
Aufbauten. Wenn die Jungs mal mussten, erledigten sie das einfach über Bord. Aber ich? Ein paar Mal war es so dringend, dass ich einfach über Bord ins Wasser sprang. Sie schrien: ›Hauptfeldwebel über Bord!‹ Und zogen mich raus. So eine simple Kleinigkeit. Und das Gewicht der Waffe? Das ist für eine Frau auch schwer. Zu Anfang bekamen wir Gewehre, die waren größer als wir selber. Wenn wir marschierten, überragten uns die Gewehre um einen halben Meter. Können Sie sich das vorstellen?
Den Männern fiel es leichter, sich an alles anzupassen. An die asketischen Bedingungen. Wir aber hatten Sehnsucht nach zu Hause, schreckliche Sehnsucht nach Mama, nach Gemütlichkeit. Wir hatten bei uns eine Moskauerin, Natascha Shilina, die wurde mit der Medaille ›Für Tapferkeit‹ ausgezeichnet und durfte zur Belohnung für ein paar Tage nach Hause. Als sie zurückkam, rochen wir an ihr. Ja, wir stellten uns buchstäblich an und rochen an ihr – sie roch nach zu Hause. So sehr sehnten wir uns nach zu Hause ... Wenn wir mal eine freie Minute hatten, dann bestickten wir irgendwelche Tücher. Wenn Fußlappen ausgegeben wurden, machten wir Schals daraus, umhäkelten sie. Wir wollten irgendetwas Weibliches tun. Dieses Weibliche fehlte uns, das war kaum auszuhalten. Wir nutzten den geringsten Anlass, um zur Nadel zu greifen, etwas zu flicken, wenigstens für eine Weile in unsere natürliche Form zu schlüpfen. Natürlich haben wir auch gelacht und uns gefreut, aber das war nicht dasselbe wie vor dem Krieg. So lange der Krieg dauerte, so lange befand sich der Mensch in einem Ausnahmezustand, aus dem er nicht herauskam. Können Sie sich das vorstellen?«
Das Tonbandgerät zeichnet die Worte auf, hält Intonationen fest. Pausen. Weinen und Verwirrung. Aber wie ihre Augen festhalten, die Hände? Sie selbst, während sie erzählen? Und wie gut Olga Wassiljewna die mädchenhaft geschnittene Bluse mit dem gepunkteten Kragen steht, und mit was für jungen, verliebten Augen Saul Genrichowitsch seine Frau ansieht. Wie stolz er auf sie ist und jedes Wort von ihr bewundert. Die beiden verbindet zusätzlich etwas, das vielleicht größer ist als die Liebe. Ich scheue mich ein wenig, dieses Wort hier auszusprechen – der Krieg.
»Aber wir haben zwei Kriege ... Das ist wahr ...«, mischt sich Saul Genrichowitsch ins Gespräch. »Wenn wir Erinnerungen austauschen, dann merke ich, dass sie ihren Krieg im Gedächtnis hat und ich meinen. Auch ich habe so etwas erlebt, was sie Ihnen erzählt hat, von zu Hause und wie sie angestanden haben und an dem Mädchen gerochen, das von zu Hause kam. Aber ich erinnere mich nicht daran ... Es ist mir weggerutscht ... Aber sie hat Ihnen noch nicht von den Matrosenmützen erzählt. Olja, wie konntest du das vergessen?«
»Ich habe es nicht vergessen. Das gehört zum aller-aller ... Ich habe immer Angst, davon zu erzählen ... Im Morgengrauen liefen unsere Boote aus. Man hörte Gefechtslärm. Er dauerte viele Stunden und rückte immer dichter an die Stadt heran. Dann verstummte er. Am Abend ging ich hinaus, und auf dem Kanal schwammen Matrosenmützen ... Schwarze Matrosenmützen ... Die Mützen unserer Jungs, die ins Wasser geworfen wurden ... Die ganze Zeit, während ich da stand, schwammen Mützen vorbei. Erst habe ich sie gezählt, dann gab ich es auf. Der Kanal war wie ein großes Brudergrab ...«
»Ich habe mir viele ihrer Geschichten gemerkt und, wie man heute sagt, ›gespeichert‹, für die Enkel. Oft erzähle ich ihnen nicht meinen Krieg, sondern ihren. Der ist für sie interessanter, das ist mir aufgefallen«, fährt Saul Genrichowitsch fort. »Ich habe mehr konkretes militärisches Wissen, sie dafür mehr Gefühl. Und Gefühle sind immer eindrucksvoller. Bei uns in der Infanterie gab es auch Mädchen. Sobald eins bei uns auftauchte, hielten wir uns gleich straffer. Sie können sich nicht vorstellen ...« Und sofort: »Dieses Wort habe ich auch von ihr angenommen. Sie können sich nicht vorstellen, wie gut Frauenlachen im Krieg tut! Eine Frauenstimme ...
Ob es im Krieg Liebe gegeben hat? Aber ja! Und die Frauen, die wir dort kennengelernt haben, sind wunderbare Ehefrauen. Treue Freundinnen. Wer im Krieg geheiratet hat, das sind die glücklichsten Menschen. Die glücklichsten Paare. Wir haben uns auch an der Front verliebt. Inmitten von Feuer und Tod. Das ist eine feste Bindung. Ich will nicht abstreiten, dass es auch anderes gab, denn der Krieg war lang, und wir waren viele im Krieg. Aber ich
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