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Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Titel: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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Verwundete, Tote. In diesem Sumpf möchte man nicht sterben. Im schwarzen Sumpf. Nein, als junges Mädchen da liegen ... Aber ein andermal, das war schon in den Wäldern bei Orscha, da standen kleine Traubenkirschensträucher. Und überall Blausternchen. Die ganze Lichtung war blau ... Inmitten solcher Blumen sterben! Hier liegen – ich war noch ein Dummchen, gerade siebzehn –, so stellte ich mir den Tod vor ...
    Ich dachte, sterben, das ist wie irgendwohin fliegen. Aber dafür brauchte ich diese Schönheit ... Etwas Blaues ... Himmelblau ...«
    Ljubow Iwanowna Osmolowskaja ,
    Soldatin, Aufklärerin
    »Unser Regiment war ein reines Frauenregiment. Im Mai zweiundvierzig flogen wir an die Front.
    Wir hatten eine PO-2 bekommen. Ein kleines, leises Flugzeug. Es flog nur in geringer Höhe, häufig im Tiefflug. Ganz dicht über der Erde! Vor dem Krieg hatten damit junge Leute in Fliegerklubs Fliegen gelernt, niemand hätte gedacht, dass man es mal zu Kriegszwecken einsetzen würde. Es war aus Holz gebaut, ganz und gar aus Sperrholz, und mit Stoff bespannt. Mit einer Art Mull. Ein Treffer, und es brannte wie Zunder, verbrannte, ohne die Erde zu erreichen. Wie ein Streichholz. Das einzige solide Bauteil aus Metall war der Motor M-2. Später dann, gegen Kriegsende, bekamen wir Fallschirme und ein Maschinengewehr in die Kanzel, aber bis dahin waren wir völlig unbewaffnet, vier Bombenträger unten dran, und das war’s. Kamikaze-Flieger, würde man heute sagen ... Vielleicht waren wir das auch. Ja! Das waren wir! Aber der Sieg war uns mehr wert als unser Leben. Der Sieg!
    Sie fragen, wie wir das ausgehalten haben? Das kann ich Ihnen beantworten ...
    Bevor ich in Pension ging, machte mich ein Gedanke ganz krank: Wie soll das gehen, nicht mehr arbeiten? Wozu habe ich mit über fünfzig noch studiert? Geschichte. Davor war ich mein ganzes Leben Geologin gewesen. Aber ein richtiger Geologe ist immer unterwegs, und dazu hatte ich keine Kraft mehr. Ein Arzt untersuchte mich, fragte: ›Hatten Sie mal einen Herzinfarkt?‹
    ›Wieso einen Infarkt?‹
    ›Ihr Herz ist voller Narben.‹
    Diese Narben, die stammen wahrscheinlich aus dem Krieg. Wenn du dein Ziel anfliegst, zitterst du am ganzen Leib. Der ganze Körper zittert, denn da unten ist die Hölle los: Jagdflugzeuge feuern, die Flak schießt auf Flugzeuge ... Ein paar Mädchen mussten das Regiment verlassen, sie hielten das nicht aus. Wir flogen meist nachts. Eine Zeit lang wurde versucht, uns auch tagsüber einzusetzen, aber das wurde sofort wieder aufgegeben. Unsere PO-2 konnte man mit einem simplen Gewehr abschießen ...
    Wir flogen bis zu zwölf Einsätze pro Nacht. Ich habe das berühmte Flieger-Ass Pokryschkin gesehen, als er von einem Kampfeinsatz kam. Das war ein kräftiger Mann, keine zwanzig mehr und auch keine dreiundzwanzig wie wir: Während das Flugzeug aufgetankt wurde, zog der Bordmechaniker ihm das Hemd aus und wrang es aus. Es war tropfnass, als wäre er in einen Regenguss gekommen. Sie können sich also vorstellen, wie es uns ging. Wenn wir zurückkamen, konnten wir nicht mal aus der Kabine steigen, wir mussten rausgezerrt werden. Nicht mal die Karte konnten wir mehr tragen, wir schleiften sie am Boden hinter uns her.
    Und was unsere Waffenhelferinnen leisteten! Sie mussten vier Bomben – das sind vierhundert Kilo – per Hand an die Maschine hängen. Und das die ganze Nacht – ein Flugzeug startete, das nächste landete. Der Organismus veränderte sich so, dass wir den ganzen Krieg keine Frauen waren ... Die Frauensachen blieben einfach aus ... Die Regel ... Na, Sie wissen schon ... Und nach dem Krieg konnten viele von uns keine Kinder mehr bekommen ...
    Wir rauchten alle. Auch ich, das beruhigte irgendwie. Wenn man zurückkam und am ganzen Leib zitterte, dann rauchte man eine und beruhigte sich. Wir trugen Lederjacke, Hose, Feldbluse, im Winter noch eine Pelzjacke. Unwillkürlich bekamen unser Gang, unsere Bewegungen etwas Männliches. Als der Krieg aus war, bekamen wir Khakikleider geschneidert. Da spürten wir plötzlich, dass wir Mädchen waren ...«
    Alexandra Semjonowna Popowa ,
    Gardeleutnant, Kopilotin
    »Kürzlich wurde mir eine Medaille verliehen. Vom Roten Kreuz. Die internationale Florence-Nightingale-Medaille in Gold. Alle gratulierten mir und staunten: ›Wie haben Sie das geschafft, hundertsiebenundvierzig Verwundete zu retten? Sie sind auf den Fotos ein so zierliches Mädchen.‹ Dabei habe ich vielleicht zweihundert gerettet, wer hat

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