Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)
nach Jahrzehnten noch reagiert. »Hab keine Angst vor meinen Tränen. Du musst mich nicht bedauern. Auch wenn es mir wehtut, ich bin dir dankbar, dass du mir die Möglichkeit gibst, mir selbst zu begegnen. Meiner Jugend ...« ( K. S. Tichonowisch , Unterfeldwebel, Flak-Soldatin).
Das menschliche Leben wird zu Geschichte, und die Geschichte zerfällt in einzelne Menschenleben. Sie haben geschossen und sind gestorben, sie haben geglaubt und Enttäuschungen erlebt, aber zugleich wollten sie sich die Wimpern tuschen, wenigstens nachts in einer hübschen Frauenbluse schlafen ... Nicht vergessen, wie man lächelt ... Manchmal haben sie sogar getanzt ...
Von Männerstiefeln und Damenhüten
»Wir lebten in der Erde – wie die Maulwürfe. Aber ein paar Kleinigkeiten bewahrten wir uns. Im Frühjahr stellst du einen grünen Zweig ins Wasser. Du siehst ihn an und denkst: Schon morgen lebst du vielleicht nicht mehr. Und du prägst ihn dir ein. Ein Mädchen bekam von zu Hause ein Wollkleid geschickt. Wir beneideten sie alle, obwohl es verboten war, eigene Kleider zu tragen. Der Hauptfeldwebel, das war ja ein Mann, knurrte: ›Sie hätten dir lieber ein Bettlaken schicken sollen. Das wäre nützlicher.‹ Wir hatten keine Laken, auch keine Kopfkissen. Wir schliefen auf Reisig. Aber ich besaß heimlich Ohrringe.
Nach meiner ersten Kopfverletzung konnte ich nicht mehr hören und sprechen. Ich sagte mir: Wenn die Stimme nicht wiederkommt, dann werfe ich mich unter den Zug. Ich konnte so gut singen, und auf einmal war die Stimme weg. Aber sie kam wieder ...
Überglücklich steckte ich mir die Ohrringe an. Ich trat meinen Wachdienst an und schrie vor Freude: ›Genosse Oberleutnant, Wachhabende ...‹
›Was ist denn das?‹
›Was?‹
›Raus!‹
›Was ist denn?‹
›Sofort die Ohrringe raus! Was ist denn das für ein Soldat?‹
Der Oberleutnant sah sehr gut aus. Wir Mädchen waren alle ein bisschen in ihn verliebt. Er sagte immer zu uns, im Krieg würden Soldaten gebraucht, nur Soldaten. Ja, gebraucht wurden Soldaten – aber wir wollten auch noch schön sein ... Ich hatte den ganzen Krieg Angst davor, dass meine Beine verstümmelt werden. Ich hatte schöne Beine. Ein Mann, der hat nicht solche Angst, selbst wenn er ein Bein verliert. Er ist ein Held. Ein Mann zum Heiraten. Aber wenn das einer Frau passiert, dann ist ihr Schicksal besiegelt. Ihr Schicksal als Frau ...«
Maria Nikolajewna Schtscholokowa ,
Unterfeldwebel, Kommandeurin einer Nachrichteneinheit
»Ich habe den ganzen Krieg gelächelt ... Ich fand, ich müsse so oft wie möglich lächeln, eine Frau sollte leuchten. Vor der Abreise an die Front sagte ein alter Professor zu uns: ›Ihr müsst jedem Verwundeten sagen, dass ihr ihn liebt. Eure stärkste Medizin ist die Liebe. Die Liebe erhält, sie gibt Kraft zum Überleben.‹ Da liegt ein Verwundeter, er hat so große Schmerzen, dass er weint, und du sagst zu ihm: ›Nicht doch, mein Lieber. Nicht doch, mein Guter ...‹ – ›Liebst du mich, Schwesterchen?‹ (Uns junge Mädchen nannten sie alle ›Schwesterchen‹.) ›Natürlich liebe ich dich. Werde nur bald gesund.‹ Sie durften gekränkt sein, schimpfen, wir dagegen nie. Für ein einziges grobes Wort wurden wir hart bestraft, bis zum Arrest.
Es war schwer. Natürlich war es schwer. Sogar im Rock in ein Auto klettern, wenn lauter Männer um dich sind. Die Lkws waren ja hoch, spezielle Sanitätswagen. Und da mussten wir raufklettern! Das versuch mal ...«
Vera Wladimirowna Schewaldyschewa , Oberleutnant, Chirurgin
»Wir bekamen Waggons zugeteilt – Güterwaggons. Wir waren zwölf Mädchen, der Rest alles Männer. Alle zehn, fünfzehn Kilometer blieb der Zug stehen. Dann wieder zehn, fünfzehn Kilometer Fahrt, und wieder auf ein Abstellgleis. Kein Wasser, keine Toilette ... Verstehen Sie?
Die Männer machten bei einem Halt Feuer, schüttelten sich die Läuse aus den Sachen, trockneten sich. Aber wir? Wir liefen hinter irgendeine Deckung, dort zogen wir uns aus. Ich trug einen Strickpullover, da saßen die Läuse auf jedem Millimeter, in jeder Masche. Allein bei dem Anblick wurde mir schlecht. Aber ich konnte schließlich nicht mit den Männern zusammen meine Läuse versengen. Das war doch peinlich. Ich warf den Pullover weg und behielt nur mein Kleid an. Auf einer Bahnstation brachte eine fremde Frau mir eine Jacke und alte Schuhe. Wir fuhren lange, dann liefen wir noch lange zu Fuß. Es war Frost. Ich sah beim Laufen ständig in den Spiegel: ob ich
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