Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)
auch keine Erfrierungen hatte. Gegen Abend entdeckte ich, dass meine Wangen erfroren waren. Ich war ja so dumm ... Ich hatte gehört, wenn man sich die Wangen erfriert, dann werden sie ganz weiß. Aber meine waren ganz rot. Ich dachte, von mir aus können meine Wangen immer erfroren sein. Doch am nächsten Tag waren sie ganz schwarz.«
Nadeshda Wassiljewna Alexejewa , Soldatin, Telegrafistin
»Bei uns gab es viele hübsche Mädchen ... Wir gingen in die Banja, und dort gab es auch einen Friseur. Na, wir sahen uns an und färbten uns die Augenbrauen. Das gab einen Heidenärger vom Kommandeur! ›Seid ihr zum Kämpfen gekommen oder auf einen Ball?‹ Die ganze Nacht haben wir geweint und die Farbe ausgerieben. Am Morgen lief er rum und erklärte jeder Einzelnen: ›Ich brauche Soldaten, keine Damen. Damen überleben im Krieg nicht.‹ Ein sehr strenger Kommandeur. Vor dem Krieg war er Mathelehrer gewesen ...«
Anastassija Petrowna Scheleg ,
Unteroffizierbei den Ballontruppen
»Mir kommt es vor, als hätte ich zwei Leben gelebt – ein Männerleben und ein Frauenleben ...
Als ich an die Schule kam, herrschte dort sofort militärische Disziplin: bei der Ausbildung, beim Antreten, in der Kaserne – alles streng nach Dienstvorschrift. Ohne die geringsten Abstriche für uns Mädchen. Dauernd hieß es: ›Schluss mit dem Schwatzen!‹ – ›Kein Geplapper!‹ Abends wollten wir am liebsten dasitzen und sticken ... Na ja, irgendetwas Weibliches tun ... Das war strikt untersagt. Aber so ohne Zuhause und ohne Hausarbeit fühlten wir uns unwohl. Wir hatten nur eine Stunde Freizeit: Da saßen wir im Lenin-Zimmer und schrieben Briefe, wir durften auch ungezwungen zusammenstehen und miteinander reden. Aber kein Lachen, kein lautes Schreien – das war nicht erlaubt.«
»Durfte man singen?«
»Nein, auch nicht.«
»Und warum nicht?«
»Es war eben nicht erlaubt. Nur im Glied durfte man singen, auf Befehl. Auf den Befehl: ›Ein Lied, drei, vier!‹
»Und sonst nicht?«
»Nein. Das ist gegen die Dienstvorschriften.«
»Fiel es schwer, sich daran zu gewöhnen?«
»Mir scheint, ich habe mich überhaupt nicht daran gewöhnt. Kaum war man eingeschlafen, hieß es schon: ›Aufstehen!‹ Dann hieß es, blitzschnell raus aus dem Bett. Anziehen – und Frauen haben ja mehr anzuziehen als Männer, mal fällt einem das eine aus der Hand, mal das andere. Endlich das Koppel in die Hand, und im Laufschritt zu den Kleiderhaken. Mantel schnappen und weiter in die Waffenkammer. Den Spaten in die Schutzhülle und ans Koppel, dann die Patronentasche aufgesteckt, hastig das Koppelschloss eingehakt. Das Gewehr geschnappt, im Laufen den Gewehrverschluss verriegelt, und dann vom dritten Stock die Treppe runtergerast. Im Glied bringst du dich einigermaßen in Ordnung. Und für das Ganze hast du nur ein paar Minuten.
Und später an der Front ... Die Stiefel waren mir drei Nummern zu groß und schon ganz krumm, in den Ritzen hatte sich der Staub festgefressen. Einmal brachte unsere Wirtin mir zwei Eier: ›Hier, auf den Weg, du bist so dünn, du brichst ja bald durch.‹ Ich hab heimlich, dass sie es nicht sah, die beiden Eier aufgeschlagen, sie waren sehr klein, und meine Stiefel damit geputzt. Natürlich war ich hungrig, aber das Weibliche siegte – schön sein. Sie haben keine Ahnung, wie so ein Uniformmantel scheuert, wie schwer das alles ist, wie männlich – das Koppel und alles. Besonders schlimm fand ich, dass der Mantel den Hals so aufscheuerte, und dann noch diese Stiefel. Der Gang veränderte sich, alles veränderte sich ...
Ich erinnere mich, dass wir immer traurig waren. Die ganze Zeit traurig ...«
Stanislawa Petrowna Wolkowa ,
Unterleutnant, Zugführerin eines Scharfschützenzuges
»Es war nicht leicht, aus uns Soldaten zu machen – gar nicht so einfach ... Wir bekamen unsere Uniformen. Der Hauptfeldwebelließ uns antreten.
›Die Stiefelspitzen ausrichten.‹
Wir tun das. Die Stiefelspitzen stehen in Reih und Glied, aber wir selber wie Kraut und Rüben dahinter, denn die Stiefel sind Schuhgröße vierzig, einundvierzig. Er: ›Die Spitzen, die Spitzen!‹
Und dann: ›Schülerinnen, ausrichten nach der Brust des vierten Mannes!‹
Das funktioniert natürlich nicht, und er brüllt aus vollem Hals: ›Was habt ihr euch da in die Brusttaschen gestopft?‹
Wir lachen.
›Lachen einstellen!‹, brüllt der Hauptfeldwebel.
Damit wir das exakte Grüßen lernten, mussten wir alles grüßen – vom Stuhl bis zum Plakat
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