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Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Titel: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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damals schon gezählt? Das wäre mir nie in den Sinn gekommen, das war uns fremd. Während des Gefechts, wenn Menschen verbluten, sich hinsetzen und aufschreiben. Ich habe nie gewartet, bis der Angriff zu Ende war, ich bin während des Gefechts losgekrochen und habe Verwundete eingesammelt. Wenn einer eine Splitterwunde hat und ich komme erst in ein, zwei Stunden, dann ist es zu spät, dann ist er verblutet.
    Ich war dreimal verwundet und hatte drei Kopfverletzungen. Im Krieg hatte jeder so seinen Traum: Der eine träumte davon, nach Hause zurückzukehren, der Nächste wollte bis Berlin kommen ... Ich hatte nur einen Wunsch – noch meinen achtzehnten Geburtstag zu erleben. Irgendwie hatte ich Angst zu sterben, bevor ich achtzehn wurde. Ich lief in Hosen und mit Käppi rum, immer zerlumpt, weil ich ja die ganze Zeit auf den Knien kroch und dabei auch noch Verwundete schleppte. Ich konnte nicht glauben, dass ich eines Tages aufstehen und aufrecht gehen würde, nicht mehr kriechen. Das war ein Traum. Einmal kam der Divisionskommandeur, sah mich und fragte: ›Wer ist denn dieser Junge? Wieso behaltet ihr ihn hier? Er sollte in die Schule gehen.‹
    Ich erinnere mich, das Verbandszeug reichte nie – bei den schrecklichen Schusswunden brauchte man oft ein ganzes Verbandspäckchen. Ich zerriss meine Unterwäsche und bat auch die Jungs: ›Zieht eure Unterhosen aus und die Unterhemden, sonst sterben mir die Leute.‹ Sie zogen sich aus, rissen die Wäsche in Streifen. Ich genierte mich vor ihnen nicht, sie waren für mich wie Brüder, ich lebte wie ein Junge unter ihnen. Bei Fußmärschen liefen wir immer zu dritt, Hand in Hand, der in der Mitte schlief ein, zwei Stunden, dann wurde gewechselt.
    Wenn ich irgendwo ein Massengrab sehe, knie ich davor nieder. Vor jedem Massengrab ... Immer auf den Knien ...«
    Sofja Adamowna Kunzewitsch ,
    Hauptfeldwebel, Sanitätsinstrukteurin einer
    Schützenkompanie

Von Mädchendiskant und Matrosenaberglauben
    »Man hat mir Sachen hinterhergerufen ... Worte ... Schwer wie Steine ... So was wie: Das war doch ein männlicher Wunsch – in den Krieg zu ziehen. Ihr wart doch irgendwie nicht normal. Keine richtigen Frauen. Nicht ganz vollwertig ... Nein! Nein, das war ein menschlicher Wunsch. Es war Krieg, ich lebte ein ganz normales Leben ... Ein Mädchenleben ... Doch dann bekam die Nachbarin einen Brief – ihr Mann sei verwundet, liege im Lazarett. Ich dachte: Er ist verwundet, und wer ersetzt ihn? Ein anderer kam mit nur einem Arm zurück – wer ersetzte ihn? Der Nächste mit nur einem Bein – wer ersetzte ihn? Ich schrieb Gesuche, bat und flehte, mich zur Armee zu holen. Wir waren so erzogen, dass nichts in unserem Land ohne uns ging. Man hatte uns beigebracht, unser Land zu lieben. Und da nun Krieg war, mussten wir ihm helfen. Wurden Krankenschwestern gebraucht, mussten wir eben Krankenschwestern werden. Wurden Flak-Soldaten gebraucht, mussten wir Flak-Soldaten werden.
    Ob wir an der Front sein wollten wie die Männer? Die erste Zeit sogar sehr: Wir ließen uns die Haare ganz kurz schneiden, veränderten sogar unseren Gang. Aber dann nicht mehr, o nein! Dann wollten wir uns schminken, sparten uns den Zucker vom Mund ab und benutzten ihn lieber als Haarfestiger. Wir waren glücklich, wenn wir einen Kessel Wasser auftreiben konnten zum Haarewaschen. Bei langen Fußmärschen suchten wir uns weiches Gras. Wir haben es ausgerissen und uns die Beine damit ... Na ja, verstehen Sie, wir haben sie damit abgerieben ... Uns mit dem Gras gewaschen. Wir hatten schon unsere Eigenheiten, wir Mädchen ... Unsere Beine waren ganz grün ... Gut, wenn der Hauptfeldwebelein älterer Mann war und Verständnis hatte, der nahm uns zusätzliche Wäsche nicht weg, aber ein junger, der duldete nichts Überflüssiges. Dabei – was heißt hier überflüssig für Mädchen, die sich manchmal zweimal am Tag umziehen möchten. Wir rissen die Ärmel von den Unterhemden ab, aber wir hatten ja nur zwei davon. Das waren nur vier Ärmel ...«
    Klara Semjonowna Tichonowitsch ,
    Feldwebel bei der Flak
    »Vor dem Krieg schwärmte ich für alles Militärische ... Männliche ... Ich schrieb an die Fliegerschule, sie sollten mir die Aufnahmebedingungen schicken. Die Uniform stand mir. Ich mochte Gleichschritt, Exaktheit, die knappen Kommandos. Von der Schule kam die Antwort: ›Beenden Sie erst einmal die zehnte Klasse.‹
    Als der Krieg ausbrach, konnte ich mit meiner Einstellung natürlich nicht zu Hause hocken. Aber an

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