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Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition)

Titel: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swetlana Alexijewitsch
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später wurde ich zum Kommandeur bestellt. Ich kam in den Unterstand, da saßen unsere Soldaten und ein Mann in Zivil. An diesen Mann kann ich mich noch sehr gut erinnern. Die ganzen Jahre hatte ich nur Männer in Uniform gesehen, in Khaki, er aber trug einen schwarzen Mantel mit Plüschkragen.
    ›Wir brauchen Ihre Hilfe‹, sagte der Mann zu mir. ›Zwei Kilometer von hier bekommt meine Frau ein Kind. Sie ist allein, es ist niemand sonst im Haus.‹
    Der Kommandeur sagte zu mir: ›Das ist Niemandsland. Sie wissen selbst, das ist nicht ungefährlich.‹
    ›Eine Frau liegt in den Wehen. Ich muss ihr helfen.‹
    Sie gaben mir fünf MP -Schützen mit. Ich packte eine Tasche mit Verbandszeug, und vor kurzem hatte ich neue Fußlappen aus Flanell bekommen, die nahm ich auch mit. Wir gingen los. Die ganze Zeit wurden wir beschossen – mal schlug es vor uns ein, mal hinter uns. Der Wald war so dunkel, dass man nicht einmal den Mond sah. Endlich tauchten vor uns die Umrisse eines Gebäudes auf. Ein Vorwerk. Als wir das Haus betraten, sah ich die Frau. Sie lag auf dem Boden, in Lumpen gehüllt. Ihr Mann verhängte sofort die Fenster. Zwei MP -Schützen postierten sich auf dem Hof, zwei an der Tür, einer leuchtete mir mit der Taschenlampe. Die Frau konnte das Stöhnen kaum unterdrücken, sie hatte große Schmerzen.
    Ich bat sie die ganze Zeit: ›Halten Sie aus, meine Gute. Nicht schreien. Halten Sie aus.‹
    Wir waren schließlich im Niemandsland. Wenn der Feind irgendetwas bemerkte, dann würde er uns mit Granaten bombardieren. Doch als die Soldaten hörten, dass das Kind geboren war, riefen sie: ›Hurra! Hurra!‹ Ganz leise, fast flüsternd. An der vordersten Linie war ein Kind geboren worden!
    Sie brachten Wasser. Eine Feuerstelle gab es nicht, also rieb ich das Kind mit kaltem Wasser ab. Dann wickelte ich es in meine Fußlappen. Im Haus fand sich nichts, nur die alten Lumpen, auf denen die Mutter lag.
    Ich schlich noch einige Nächte zu diesem Vorwerk. Beim letzten Mal, in der Nacht vor unserem Angriff, verabschiedete ich mich: ›Ich kann jetzt nicht mehr kommen. Ich gehe weg.‹
    Die Frau fragte ihren Mann etwas auf Lettisch. Er übersetzte es mir: ›Meine Frau fragt, wie Sie heißen.‹
    ›Anna.‹
    Die Frau sagte wieder etwas. Und der Mann übersetzte es mir wieder: ›Sie sagt, das ist ein sehr schöner Name. Ihnen zu Ehren werden wir unsere Tochter Anna nennen.‹
    Die Frau richtete sich ein Stück auf – aufstehen konnte sie noch nicht – und gab mir eine wunderschöne Perlmutt-Puderdose. Offensichtlich ihr wertvollster Besitz. Ich öffnete die Puderdose, und dieser Puderduft mitten in der Nacht, wo überall geschossen wurde, Granaten explodierten ... Das war etwas so ... Ich muss heute noch weinen ... Der Puderduft, dieser Perlmuttdeckel ... Das kleine Kind ... Ein Mädchen ... Das war etwas so Anheimelndes, etwas aus dem wirklichen Frauenleben ...«
    Anna Nikolajewna Chrolowitsch ,
    Gardeleutnant, Feldscherin
    »Eine Frau bei der Marine – das war etwas Verbotenes, regelrecht unnatürlich. Es hieß, eine Frau auf dem Schiff bringe Unglück. Ich stamme aus Fastow, in unserem Dorf neckten die Frauen meine Mutter immer: Was hast du da eigentlich geboren, ein Mädchen oder einen Jungen? Ich schrieb an Woroschilow höchstpersönlich, weil ich an die Leningrader Artillerieschule wollte. Nur auf seine persönliche Weisung hin wurde ich aufgenommen. Als einziges Mädchen.
    Nach der Schule wollten sie mich trotzdem auf dem Festland lassen. Da sagte ich niemandem mehr, dass ich eine Frau war. Sehr hilfreich war dabei mein neutraler ukrainischer Familienname Rudenko. Aber einmal verriet ich mich doch. Ich scheuerte das Deck, da hörte ich einen schrecklichen Krach und drehte mich um: Ein Matrose jagte eine Katze, keiner wusste, wie die an Bord gekommen war, schließlich besagte ein vermutlich noch von den ersten Seefahrern überlieferter Aberglaube, dass Katzen und Frauen auf See Unglück bringen. Die Katze wollte nicht runter vom Schiff und vollführte Täuschungsmanöver, um die jeder Weltklasse-Fußballer sie beneidet hätte. Auf dem Schiff lachte alles. Aber als die Katze beinahe ins Wasser gefallen wäre, bekam ich einen Schreck und schrie auf. Offensichtlich in hohem Mädchendiskant, so dass das Männerlachen schlagartig verstummte. Es wurde totenstill.
    Dann hörte ich den Kommandeur fragen: ›Wachmann, hat eine Frau das Schiff betreten?‹
    ›Nein, Genosse Kommandeur.‹
    Da brach die nächste Panik los

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