Der Kronrat (German Edition)
für sich selbst eine kleine Stadt zu sein.
»Es ist das Lager der Ersten Legion«, teilte Rellin mir mit, während sie weiterhin forsch voranschritt, hingegen hatte ich schon begonnen zu keuchen, zudem wurde es mir in meinem Unterzeug allmählich etwas warm. Obwohl die Luft noch immer kühl war. »Zur Zeit sind sowohl die Erste als auch die Dritte und die Fünfte Legion hier untergebracht.«
Anders als das halb verfallene Legionslager im Wüstensand von Bessarein, war dieses hier in vollem Umfang genutzt, überall, wo ich hinsah, waren Bullen in ihren schweren Rüstungen unterwegs.
Sie führte mich an den Hauptgebäuden vorbei an ein weites Feld. Dort waren Hindernisse und eine Art Becken aufgebaut, das gut und gerne zwanzig Schritte in der Breite maß und sechzig Schritte lang war. An einer Seite befand sich ein breiter Nachen im Wasser, der am Bug mit einer Art Kran und einer Winde ausgestattet war.
»Die Legion marschiert nicht alleine in den Krieg«, teilte sie mir mit, als wir auf einem kleinen Hügel angekommen waren, von dem aus das Übungsgelände gut zu übersehen war. »Es gibt einen Tross, der einer Legion folgt. Auf vier Soldaten für den Kampf kommt einer, der sich darum kümmert, sie zu versorgen. Dennoch, im Notfall muss eine Legion allein marschieren, und jeder Soldat muss das mit sich führen können, was er für eine Woche im Feld benötigt. Das Marschgepäck alleine wiegt gut sechzig Pfund! Das ist es, was wir von den Legionären verlangen: Dass sie in ihren Rüstungen und mit Gepäck jeden Tag zehn Kerzen lang marschieren können.« Sie warf mir einen mitleidigen Blick zu. »Du würdest nach zwei Kerzen zusammenbrechen, Rekrut. Länger gebe ich dir nicht.« Sie wies mit der linken Hand auf das Wasserbecken, an dessen Rand nun zwei Tenet Aufstellung nahmen.
»Nicht überall, wo wir marschieren, gibt es Brücken. Diese Übung bleibt dir vorerst erspart, es würde dich umbringen. Das Becken ist drei Mannslängen tief. Am Grund befindet sich tiefer Schlick. Dies ist der Abschluss der Ausbildung … diese beiden Tenets werden nun durch dieses Becken marschieren. Diejenigen, die es überstehen, dürfen sich fortan ein Bulle der Dritten nennen.« Sie sah zu mir hoch. »Die Ausbildung dauert ein Jahr. Sie ist hart, aber am Ende steht die Fähigkeit, Unglaubliches zu tun. Stirbt einer dieser Rekruten hier, und es geschieht immer wieder, dann waren wir es, die versagt haben. Was wir jetzt tun, Rekrut, ist, für unsere Kameraden zu beten.«
Sie nahm Haltung an, und ich tat es ihr gleich.
Dort am Graben zogen sich jetzt sechs Männer und Frauen trotz der Kälte bis auf ihr Unterzeug aus und besetzten mit ernster Miene den Nachen, stießen ihn mit langen Stangen vom Ufer ab. Rellin sagte nichts dazu, ich konnte mir nun denken, für was der Kran und der Haken gedacht waren, doch ob es möglich war, auf diese Weise jemanden schnell genug zu bergen, bezweifelte ich.
Die Offiziere, beides Schwertleutnants, sprachen ihre Tenets nun noch einmal an, jeder Soldat wurde einzeln befragt, immer wieder wurde zur Seite hingewiesen, wo sich ein großer Tisch mit Stühlen befand und ein Schreiber der Federn, der dort wartete. Jeder Rekrut nickte, auch wenn es einige gab, die sichtlich zögerten.
Selbst auf die Entfernung war es leicht zu erkennen, dass diese Prüfung wirklich den Mut und die Entschlossenheit einiger der Rekruten erschütterte.
Auf ein Kommando setzten die Soldaten ihren Helm auf und griffen ihre Waffen fester, nahmen in einer Doppelreihe Aufstellung. Ein festes Seil war über das Wasser gespannt. Die Offiziere prüften, ob es hielt. Ein weiteres Kommando, und die Soldaten legten die rechte Hand auf die Schultern des Mannes vor ihnen, die vordersten legten die Hand auf die gepanzerten Schultern des Leutnants.
»Vorwärts, Marsch!«, riefen die Leutnants im Chor und laut genug, dass wir es hier auf dem Hügel hören konnten, dann taten sie beherzt den ersten Schritt die Böschung hinunter.
Schweigend sahen Rellin und ich zu, wie die beiden Tenets Bullen in die trüben Fluten des Beckens marschierten. Dann waren sie nicht mehr zu sehen.
»Es ist kein klares Wasser«, meinte Rellin fast ehrfürchtig. »Es kann es nicht sein, wenn die Füße Schlamm aufwirbeln. Es ist dunkel dort unten, man sieht nichts, und jede Bewegung ist, als ob einen tausend Arme festhalten. Der Atem wird nicht reichen, er reicht nie, nur weiß man, dass man nicht aufgeben darf, fällt man, stirbt man, fallen und sterben all
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