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Der Kunstreiter

Titel: Der Kunstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Gerstäcker
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von den Leuten zu begegnen, vermied er doch die allernächsten Restaurationen und ging in eine andere Straße, um in einem dortigen Café sein Frühstück zu nehmen und Zeitungen zu lesen, bis die anberaumte Stunde schlug. – Zeitungen zu lesen – lieber Gott! er überflog die Blätter; die Buchstaben tanzten ihm vor den Augen, die Zeilen schwammen durcheinander, und er vergaß den Platz selbst, wo er saß. Nur eine Ankündigung fesselte wieder und wieder seinen Blick – die von Royazet, in der er dem Publikum verkündete, daß er nur noch drei Tage in Altona verweilen und unabänderlich am nächsten Montag die Stadt verlassen würde, um mit seiner Gesellschaft nach Petersburg zu gehen. – Nach Petersburg! – das Wort schon gab ihm einen Stich durchs Herz, und unruhig sprang er auf und trat ans Fenster. Aber dort gingen viele Menschen vorbei; von denen manche hereinsahen; fast unwillkürlich trat er wieder zurück und verbrachte die Zeit in einer Unruhe, die an fieberhafte Qual grenzte.
    Und o, wie langsam rückte der Zeiger vor – noch keine Zeit war ihm so lang geworden wie diese wenigen Stunden, die er in dem Café verbrachte! Endlich war es zehn – noch fehlten Minuten daran,aber auch diese mußten ja endlich vergehen – und würde ihm der Rechtsgelehrte Trost und Hilfe geben? – Wenn nicht, so hilf dir selbst, flüsterte da der alte Trotz in ihm, und mit dem festen Entschlusse knöpfte er seinen Paletot bis oben hin zu, drückte seinen Hut in die Stirn und wollte eben, als die große Wanduhr die ersten Schläge der zehnten Stunde tat, das Zimmer verlassen, als draußen auf der Straße lustig schmetternde Musik erschallte und die Leute vor den Fenstern zusammenliefen.
    »Was ist das?« fragte er, stehen bleibend, den Kellner, dem er eben seine Zeche bezahlt hatte und der ihm beim Anziehen seines Paletots behilflich gewesen war.
    »O, bloß die Kunstreiter,« antwortete der junge Bursche, »sie halten ihren Umzug, weil heute wieder große Vorstellung ist.«
    Georg schlug das Herz, als ob es ihm die Brust zersprengen wollte, aber er besaß Gewalt genug über sich, das den Fremden nicht merken zu lassen.
    »So?« sagte er, während der Kellner die Augen schon draußen auf der Straße hatte, um nichts von dem Schauspiel zu versäumen, »dann werde ich mir das erst von hier mit ansehen. Ziehen sie lange herum?«
    »Eine oder zwei Stunden manchmal, bis sie durch die ganze Stadt sind.«
    »Und kommen sie nachher hier noch einmal vorbei?«
    »Nein, zurück kommen sie durch die andere Straße da drüben, damit sie sich soviel wie möglich überall zeigen. Sehen Sie, das da vorn ist die neue Dame, die gestern zum erstenmal geritten ist – die kann's! Royazet wird sie heiraten. Sie soll ihrem Manne davongelaufen sein, nur um hierher zu kommen.«
    Georg fühlte, wie alles Blut sein Angesicht verlassen hatte; die Aufmerksamkeit des Kellners wie aller im Zimmer befindlichen Gäste war aber in diesem Augenblick einzig und allein auf die Straße gerichtet, und Georg trat zu einem der Seitenfenster. Vor diesem stand ein grünes Drahtgitter, so daß man wohl hinaussehen konnte, aber von draußen völlig unbemerkt blieb, und vor ihm vorbei, kaum zwanzig Schritt entfernt, bewegte sich der ganze Zug. Voran ritt die Musik, wie immer aufgeputzt in grellen Uniformen mit buntgefärbten Federbüschen und riesigen Epauletten; hinter dieser, die einen lustigen Reitermarsch spielte, kam der Herr des Zuges, der berühmte Royazet, und an seiner Seite, siegesstrahlend und Glück und Triumph in den hellen Zügen – ritt sein Weib. – Aber er sah sie kaum – nur einenflüchtigen Blick warf er auf die Treulose, von der er sein Herz schon lange losgerissen. Sein Blick suchte das Kind, sein armes, geraubtes Kind, und als er es nicht unter den ersten des Zuges fand, durchzuckte ihn ein plötzlicher Strahl von Hoffnung. War sie zu Hause geblieben – befand sie sich nicht beim Zuge, dann war es möglich, in dieser Zelt unbemerkt, wenigstens ungehindert, zu ihr zu gelangen, und während der Zug ... Auch dieser Plan fiel, kaum aufgebaut, zu Trümmern – dort ritt sie – seine liebe, liebe Josefine, sein Kind, an dem sein Herz mit allen Fasern blutend hing – dort, aufgeputzt mit buntem Flittertand, der ihm nie so schal, so entsetzlich vorgekommen war, wie eben jetzt – die bleichen Wangen geschminkt, die Augen niedergeschlagen – eine gebrochene, halbwelke Blume, mit Farbe übermalt. Das andere kleine Mädchen an ihrer Seite lachte und

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