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Der Kunstreiter

Titel: Der Kunstreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Gerstäcker
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liefen mir die hellen Tränen die Backen herunter. Ich weiß aber wahrhaftig nicht, ob ich den Vogel oder über die Kinder geweint habe, die ich – wenigstens beide zusammen – nicht wiedersehen sollte.«
    Der alte Mann schwieg und sah still und traurig vor sich nieder, und auch Georg wagte im ersten Augenblicke nicht die Stille zu unterbrechen. Von welchen Kindern sprach der Greis, und war es nicht etwa gar die eigene Jugend, die an das Herz dieses alten, starren Waldbewohners geklopft und die Erinnerung darin zurückgelassen hatte? – Er mußte darüber Gewißheit haben.
    »Was für Kinder, Forstwart?« fragte er mit soviel Gleichgültigkeit als möglich im Tone.
    »Das eine kennen Sie, gnädiger Herr,« sagte da der alte Mann, »es ist unser gnädigster Herr Graf, den Gott uns noch recht lange erhalten möge. Wie hübsch und schlank und kräftig der emporgeschossen ist und wieviel Freude er schon seiner braven Frau Mutter gemacht hat, daß sie wohl stolz auf ihn sein darf!«
    »Und das andere?« fragte Georg nach sichtlichem Widerstreben, als der alte Mann hartnäckig schwieg, »was ist aus dem andern geworden?«
    »Da fragen Sie den lieben Herrgott!« seufzte der alte Mann,»der andere Knabe war sein Bruder. Auf ein Haar fast glichen sich die beiden jungen Herren, und so wild und lebenslustig waren sie und so gut, so engelsgut dabei! Der jüngste besonders war ein herzig Kind – ich sehe ihn noch vor mir mit den langen dunkeln Locken und den großen, sterngleichen Augen – und ich durfte mit ihnen durch den Wald gehen und ihnen das Wild zeigen und die Stellen, wo die saftigsten Erdbeeren wuchsen, und der kleinste faßte mich dann an der Hand und fragte mich, wie hoch der Himmel noch über den hohen Bäumen sei und ob es wahr wäre, daß die Sterne dort droben die Augen von lieben Engelchen wären, die herabschauten auf die Kinder, ob sie auch brav und gut wären und ihren Eltern Freude machten? Und dann erzählte er mir von seinem Vater, daß er gestorben und zum lieben Gott gegangen sei und sie, die beiden Knaben, mit der Mutter hier allein zurückgelassen habe, und – Gottes Zorn!« murmelte der alte Mann vor sich hin und wandte sich ab von Georg, denn er schämte sich vor dem Fremden, daß ihm, selbst in der Erinnerung an jene Zeit, die sein Herz mit einer eigenen Wehmut erfüllte, die Tränen ins Auge gekommen waren. Georg aber, der ihn mit schmerzlicher Spannung beobachtete, war das nicht entgangen, wenn er auch tat, als ob er es nicht bemerke; hatte er doch Mühe genug, die eigene Rührung niederzukämpfen. Endlich, sich gewaltsam zwingend, sagte er leise: »Und von dem andern Knaben habt Ihr nie wieder – den andern Knaben habt Ihr nie wieder gesehen?«
    »Nein,« erwiderte der Alte, »damals blieben sie acht Wochen bei uns, und kein Tag verging, wo wir uns nicht zusammen hier draußen herumgetummelt hätten. Ein paar wilde Burschen waren es alle beide, und tolle Streiche haben wir mitsammen ausgeführt. Der jüngste besonders – der kleine Tollkopf konnte mit mir machen, was er wollte – schien sein Herz an mich gehängt zu haben. Auf mir geritten ist er sogar, oft und oft, und hat mir dann versprochen, wenn er einmal groß wäre, wollte er mich zu seinem Stallmeister und Gott weiß was sonst noch machen. Dann gingen sie fort, und ich blieb hier zurück – als Forstwart, Waldläufer oder was Sie wollen. Ein paarmal noch ließen mich die Knaben, besonders der kleine Georg – er hieß wie Sie, gnädiger Herr, Georg – grüßen, dann war auch das vorbei. Ich selber vergaß die Kinder wohl nicht, denn wenn man so ganz allein steht auf der Welt, vergißt man nicht so leicht etwas, an dem das Herz einmal so gehangen wie ich an den Kindern, besonders an dem jungen Herrn. Während aus den Knabenaber Männer wurden, hörte ich endlich, daß der eine – mein armer kleiner Georg – Deutschland ganz verlassen habe und – in der Fremde gestorben sei, und da konnte ich denn natürlich nichts weiter tun als – um ihn trauern.«
    »Und habt Ihr seinen Bruder nie nach ihm gefragt?« sagte endlich nach langer Pause, während die beiden Männer schweigend nebeneinander hingeschritten waren, Georg.
    Der Alte schüttelte mit dem Kopfe. »Das ging nicht gut,« meinte er, »sollte ich die Wunde im Bruderherzen wieder aufreißen? Und ich war froh und glücklich, daß ich wenigstens den einen wieder hatte und mir in dessen heiteren, männlich schönen Zügen das Bild des andern heraufrufen und festhalten konnte.

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