Der Kunstreiter
derselben Zeit, in welche sich der Zirkus damals trennte, einen mehrwöchigen Urlaub erbeten und angetreten, über das Wohin seiner Reise aber strenges Stillschweigen beobachtet. Er war indessen stets in seinem ganzen Wesen ernst und zurückhaltend, und sein Schweigen fiel deshalb nicht besonders auf. Trotzdem gaben sich aber doch verschiedene Personen nicht unbedeutende, wenn auch vergebliche Mühe, den Zweck seines Urlaubs und besonders das Ziel seiner Reise heraus zu bekommen, unter diesen ganz besonders Fräulein von Zahbern – aus Gründen, die ihr selber am besten bekannt waren. Graf Geyerstein nahm aber nicht einmal seinen Burschen mit unterwegs, und ehe man eigentlich recht wußte, wann er reisen wolle, war er plötzlich spurlos verschwunden, und ebenso unerwartet, drei Tage noch vor abgelaufenem Urlaub, zurückgekehrt.
In der Zwischenzeit hatte beim Kriegsminister von Ralphen ein großer Ball sein sollen, wenigstens sprach man schon in der Stadt davon und unterhielt sich über die wahrscheinlichen Einladungen. Die älteste Tochter Melanie war aber sehr leidend gewesen, und da die Feier eigentlich ihrem Geburtstag galt, konnte sie natürlich nicht stattfinden,wenigstens nicht zu der bestimmten Zeit. Es hieß, daß sie aufgeschoben wäre.
Die »höheren Schichten der Gesellschaft« beschäftigten sich in dieser Zeit überhaupt viel – vielleicht mehr als nötig – mit der Ralphenschen Familie, bei der jedenfalls eine auffallende Veränderung in einer Hinsicht stattgefunden hatte, wenn auch die Ralphensche Familie selber das nicht zu bemerken oder zu beachten schien.
Jenen Kreisen hatte es nämlich kein Geheimnis bleiben können, war auch nicht als solches betrieben worden, daß Graf Geyerstein sehr häufig das Ralphensche Haus besuche, von dem alten Kriegsminister sowohl wie von seiner Tochter Melanie sehr gern gesehen sei und infolge davon natürlich die letztere heiraten würde. Man hatte sich in der Tat schon daran gewöhnt, die beiden jungen Leute als ein Paar zu betrachten, so wenig sie sich selber vielleicht darüber klar geworden. Da plötzlich, nach dem Urlaub des jungen Grafen, änderte sich die ganze Sache, und zwar so auffallend, daß Geyerstein das Ralphensche Haus fast gar nicht mehr oder doch nur sehr selten betrat. Ein desto häufigerer Gast dagegen wurde der junge Graf Selikoff, und wenn dieser selber auch recht gut fühlen mochte, daß er dem Herzen Melanies noch sehr fernstand – obgleich sich seine Bemühungen dahin nicht verkennen ließen – übernahm die überhaupt zu allen Zeiten sehr rasch mit ihrem Urteil fertige »Gesellschaft« den Ausspruch und erklärte sich dahin: die Alliance mit Graf Geyerstein habe sich aus irgendwelchen nicht bekannten Gründen zerschlagen, und Graf Selikoff sei an dessen Stelle gerückt.
Der alte Herr von Ralphen mochte etwas Ähnliches fühlen, ja fürchten, denn er liebte den jungen Geyerstein wie einen Sohn und kannte den, der an seine Stelle rücken sollte – noch zu wenig, um schon mit einem Urteil über ihn fertig zu sein. Aber er hatte sich auch fest vorgenommen, seiner Tochter in einer Herzensangelegenheit keinen Zwang anzutun noch ihr sein Urteil aufzudringen. Erst wenn sie selber ihn um Rat fragen würde, war die Zeit, zu sprechen, für ihn gekommen. Übrigens durfte er seiner Melanie, wie er glaubte, schon vertrauen, daß sie keinen raschen, unüberlegten Schritt ohne seinen Rat tun würde, und er sah deshalb der nächsten Zukunft mit vieler Ruhe entgegen. Nicht ganz so gleichgültig nahm Exzellenz die Frau Kriegsminister die Sache, und zwar von einem, dem jungen Grafen Geyerstein weniger günstigen Gesichtspunkte aus. Sie hatte ihn ebenso gern wie ihr Gatte, aber – im Vergleich mit demaußerordentlich reichen russischen Grafen, dessen Hilfsquellen wirklich unerschöpflich schienen, war Geyerstein doch eine minder gute Partie für ihre Melanie, und den Rücksichten – der Sorge der Mutter für ihrer Tochter Wohl – mußten alle anderen nachstehen. Nicht so zartfühlend wie der alte Herr dabei, hatte sie allerdings versucht, von Melanie selber die Ursache in dem Wechsel ihres Betragens, wenn nicht ihre Neigung, zu erfahren, doch ohne Erfolg. Melanie konnte und wollte nicht die wahre Ursache eingestehen, und mit den ausweichenden Antworten, die sie gab, mußte sich, wohl ober übel, die Exzellenz begnügen.
Wer aber seit einiger Zeit zu den fleißigsten Besuchern des Hauses gehörte, ohne jedesmal erst eine Einladung abzuwarten, war
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