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Der kuriose Fall des Spring Heeled Jack: Roman (German Edition)

Der kuriose Fall des Spring Heeled Jack: Roman (German Edition)

Titel: Der kuriose Fall des Spring Heeled Jack: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Hodder
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dem Schädel, auf dem die Krone lag.
    Es war ein haarloses und grotesk aufgequollenes Haupt, das sich über die Ohren des Besitzers hinauswölbte, ein Kopf, zweimal so groß wie normal, ein phänomenaler und entsetzlicher Schädel! Er erstreckte sich nach vorn über das breite Gesicht darunter und drückte die buschigen Augenbrauen tief über die Augen, die kalt aus ihren Höhlen herausfunkelten. Die Nase war klein, der Mund breit und streng, die Wangen geziert von einem weißen Bart, der bis zur Taille des Mannes hinabhing – denn ja, diese verzerrte Gestalt war zweifellos ein Mann.
    Unter dem aufgequollenen Schädel hing ein grauer Anzug an einem skelettartigen Körper. Torso und Gliedmaßen war extrem verkümmert, jeder erkennbare Zentimeter Haut von Falten überzogen, und aus den Handgelenken liefen Gummischläuche in eine Maschine, die neben dem metallenen Thron, auf dem der Mann saß, pumpte und fauchte.
    Er sah aus, dachte Swinburne, wie ein Fötus in einem mechanischen Mutterleib.
    Und er kam ihm bekannt vor.
    »Charles Darwin!«, rief der Poet überrascht aus.
    Die dunklen Augen glitzerten, musterten den Dichter von oben bis unten.
    »Du kennst uns, Junge?« Darwins Stimme war tief und von seltsam harmonischem Klang, als sprächen zwei Menschen gleichzeitig.
    »Natürlich! Was ist hier los? Was haben Sie vor? Wer ist ›uns‹?«
    »Wir erklären uns Kindern gegenüber nicht. Sei still.«
    Hinter Swinburne trat geräuschlos eine Gestalt in den Raum. Es war ein gut gekleideter Mann mit langen Koteletten und einem schönen, aber vollkommen ausdruckslosen Gesicht. Genau über den Augenbrauen endete sein Kopf – der obere Teil des Schädels fehlte, und wo das Gehirn hätte sein sollen, saß ein rätselhaftes Gebilde aus Metall und Glas, in dem in scheinbar zufälliger Reihenfolge zahllose winzige Lichter aufblinkten. Aus dem hinteren Teil ragte ein Kabel, das zum Boden hinunter und in Schlangenlinien bis hin zu Darwins Thron lief, wo es im Sockel verschwand.
    Der Mann mit dem Maschinengehirn trat an einen Rollwagen und ergriff eine Spritze mit furchterregend langer Nadel.
    »Was machen Sie da?«, quietschte Swinburne.
    »Dieser hier ist neugierig, wie?«, murmelte Darwin mehr zu sich selbst. »Ja, das ist er. Groß ist er auch, leider. Sollen wir testen oder ihn gleich loswerden? Testen, denke ich. Kind, sag uns: Bist du eine Waise? Erinnerst du dich an deine Eltern? Waren sie auch groß?«
    Maschinengehirn brachte die Spritze in Position, die Nadel berührte Swinburne genau zwischen den Augenbrauen.
    »Um Himmels willen, Darwin! Ich bin keine Waise, meine Eltern gehen Sie verdammt nochmal gar nichts an, und ich bin auch kein Kind. Ich bin vierundzwanzig. Ich bin Algernon Charles Swinburne, der Dichter!«
    Eine Pause. Dann senkte sich die Spritze.
    Maschinengehirn trat zurück.
    »Du bist ein Kaminkehrer«, erklärte Darwin. »Deine Haut und Kleider sind rußbedeckt. Er steckt unter deinen Fingernägeln. Unsere Häscher haben ihn an dir gerochen. Sie machen keine Fehler.«
    Swinburne riss an den Riemen, die seine Handgelenke festhielten. Sie gaben keinen Millimeter nach.
    »Wenn Sie mit ›Häschern‹ diese Wolfskreaturen meinen, dann wurden sie diesmal leider getäuscht. Ich bin ein Dichter, das sagte ich doch! Lassen Sie mich gehen!«
    »Getäuscht?«
    »Ich habe mich als Kaminkehrer verkleidet.«
    »Warum sollte ein Dichter so etwas tun?«
    »Um herauszufinden, wo die verfluchten Wölfe herkommen und warum sie kleine Jungen entführen.«
    Darwin schwieg einen Moment, dann sagte er: »Wir sind fasziniert. Bemerke, wir scheinen vor uns einen Mann vollkommen unwissenschaftlichen Schlages zu sehen. Vielleicht eine evolutionäre Kuriosität? Welchen Nutzen hat ein Dichter? Ist er nicht einzig eine Instanz der Selbstverehrung, eine Dekoration, wenn man so will? So mag es sein, aber bitte, bedenke die dekorativen Fähigkeiten einiger Spezies, der tropischen Vögel, beispielsweise. Erfüllen ihre Farben und Muster denn keinen Zweck? Einen Partner anzulocken oder einen Feind abzuschrecken? Dieses Lebewesen hier ist, auch wenn sein Haar eine bemerkenswerte Färbung aufweist, auffällig kümmerlich von Wuchs. Könnten wir annehmen, dass als Ausgleich für die fehlende körperliche Stärke seine dichterische Begabung besonders entwickelt ist? Könnte es nicht sein, dass er, in Abwesenheit der Fähigkeit, mithilfe physischer Merkmale einen Partner anzulocken, eine Art ›Lied‹ entwickelt hat, wie die Lärche, ein

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