Der kurze Sommer der Anarchie
die Front der Verteidiger, die nur wenige Kilometer vom Zentrum entfernt verlief. Er war entsetzt über den Zustand der Verteidigungsanlagen. Von seinem Befehlsstand aus rief er den Kriegsminister Largo Caballero an und gab ihm eine rücksichtslose Schilderung der Lage. »Wenn Madrid noch nicht in der Hand der Faschisten ist, kann das nur an ihrer Unentschiedenheit liegen; die Stadt liegt dem Zugriff des Gegners offen da. Zwar wird an manchen Punkten heldenhaft gekämpft, aber an anderen Steelen geschieht nichts, um den Gegner abzuwehren. Es ist kein Wunder, daß er vor allem im Universitätsviertel, am Cerro de los Angeles, in Carabanchel Alto und Bajo fortwährend an Boden gewinnt.«
Der Minister versprach Durruti jede mögliche Unterstützung von seiten der Regierung und sicherte ihm alle Vollmachten zu.
Außerdem teilte er mit, daß neue Internationale Brigaden im Anrücken seien, und daß die Verteidiger mit Flugzeug- und Panzerlieferungen rechnen könnten.
Ricardo Sanz 4
Ich schlug dem Regierungschef, dem Genossen Largo Caballero, vor, Durruti zum General zu ernennen und ihm die Verteidigung der Hauptstadt anzuvertrauen. Ich glaube nicht, daß man dem General Miaja irgendwelche Vorwürfe machen kann; schließlich ist Madrid in der Hand der Antifaschisten und der Revolution geblieben. Ich bin aber sicher, daß Durruti nicht weniger erfolgreich gewesen wäre.
Juan Garcia Oliver 2
Als die republikanische Regierung am 6. November die belagerte Hauptstadt verließ und nach Valencia flüchtete, versetzte sie ihrem eigenen Prestige einen schweren Schlag. Nach den heldenmütigen Proklamationen, die dem Ministerpräsidenten Largo Caballero so leicht aus der Feder geflossen waren, kam diese Art der Abdankung der Bevölkerung zumindest seltsam vor.
Wenn die Anarchisten gewollt hätten, wäre dies der Augenblick gewesen, das Joch der Zentralregierung endgültig abzuwerfen und die Kommune von Madrid auszurufen. Ob das klug gewesen wäre, ist eine andere Frage. Zwar hätte ein solcher Schritt Unterstützung bei den Arbeitermassen und bei den Frontkämpfern gefunden, doch wäre ihm die Feindseligkeit Rußlands und der von den Russen kontrollierten Gruppen sicher gewesen.
Immerhin war mit der Abreise der Regierung nach Valencia die Stunde der Wahrheit angebrochen. An die Stelle der Phrasen von Einheit und Disziplin traten wirklicher Elan, Verantwortungsgefühl und Initiative. Man verließ sich nicht mehr auf heroische Sprüche, sondern auf die Überzeugungskraft des Beispiels.
Jetzt wurde tatsächlich für die Verteidigung gearbeitet; die Massen hatten das Wort. Das Verschwinden der Minister erwies sich als heilsam.
A. u. D. Prudhommeaux
Kaum in Madrid angekommen, hielt Durruti im Radio eine heftige, unverblümte Rede gegen alle Drückeberger, PseudoRevolutionäre und Schwätzer. Er bot jedem Einwohner von Madrid ein Gewehr oder eine Schaufel an und forderte jeden auf, beim Ausheben von Schützengräben und bei der Errichtung von Barrikaden Hand anzulegen. Es gelang ihm über Nacht, was die Kommuniques und die Reden der Regierung nicht zuwege gebracht hatten: eine euphorische Begeisterung ergriff die Stadt. Bis dahin war weder die Evakuierung der nicht wehrfähigen Bevölkerung noch die Zivilverteidigung richtig organisiert worden, weil die Regierung fürchtete, die Stadt mit solchen Maßnahmen zu demoralisieren. Durruti und das Verteidigungskomitee der CNT behandelten die Madrilenos dagegen wie erwachsene und verantwortliche Männer. Der Erfolg gab ihnen recht. Die CNT, der in Madrid der radikale Teil der Arbeiterklasse angehörte, gab ein Beispiel, indem sie eine Brigade zur zivilen Verteidigung aufstellte.
A. u. D. Prudhommeaux
Wenn ein Soldat an der Politik der Regierung zweifelt, wird seine Tapferkeit nachlassen. Deshalb haben die Anarchisten gewöhnlich schlecht gekämpft. Sie hatten keine Lust, für Caballero oder für Negrin oder für Martinez Barrio zu kämpfen, oder für die Regierungen, die diese Männer verkörpert haben.
Einige Tage, nachdem ich mich freiwillig gemeldet hatte, ließ Andre Marty vor den Quartieren der Internationalen Brigaden schwerbewaffnete Wachen aufziehen. Er hatte erfahren, daß Durruti an der Spitze einer Kolonne von zehntausend Anarchisten aus Barcelona auf Madrid marschierte, und daß er schon in Albacete angelangt war. Später stellte sich heraus, daß es nur dreitausend Mann waren, und daß sie keine feindseligen Absichten gegen unsere Brigade hegten. Sie benahmen sich zwar
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