Der kurze Sommer der Anarchie
damals nicht öffentlich erörtert werden konnte. Er war nach Madrid gekommen, um persönlich beim Kriegsminister zu intervenieren; dabei ging es um zwei Millionen Schuß Munition, die er für seine geplante Offensive auf Zaragoza brauchte. Er berichtete unserem Chefredakteur über diese Verhandlungen. Es war dabei zu Szenen gekommen, die auch heute noch nicht enthüllt werden können. Dann sprach Durruti über seine strategischen Vorstellungen, über den revolutionären Charakter der Milizen und über seine sehr entschiedene Meinung in der Frage der Disziplin. Durruti: Ein wenig gesunder Menschenverstand genügt, um sich über die Bewegungen des Gegners und seine Absichten klarzuwerden. Er setzt alles auf eine Karte: die Eroberung von Madrid. Er berauscht sich an der Vorstellung, die Hauptstadt zu erobern. Aber seine Kräfte werden sich an unseren Verteidigungslinien zermürben, und da er, um diesen verzweifelten Angriff zu führen, seine Reserven von anderen Abschnitten abziehen muß, wird die Verteidigung von Madrid, wenn wir sie durch Angriffe an anderen Fronten unterstützen, es uns erlauben, seiner Herr zu werden und ihn niederzuringen. Das ist alles.
Allerdings muß man eines sehen: eine Stadt wird nicht mit Worten, sondern mit Befestigungen verteidigt. Pickel und Schaufel sind dabei ebenso unentbehrlich wie Gewehre. Es gibt in Madrid zahllose Faulenzer und Tagediebe. Sie müssen allesamt mobilisiert werden. Auch darf kein einziger Tropfen Treibstoff vergeudet werden. Unsere Stärke in Aragon kommt daher, daß wir jeden, auch den kleinsten Geländegewinn sofort durch den Bau von Gräben sichern. Unsere Milizionäre haben gelernt, daß es bei einem feindlichen Angriff nichts Gefährlicheres als den Rückzug gibt; das Sicherste ist es, die Stellung zu halten. Es ist nicht wahr, daß der Selbsterhaltungstrieb zur Niederlage führt. Man kämpft immer um sein Leben. Dieser Trieb ist so stark, daß man sich ihn im Kampf zunutze machen muß. Bei meinen Milizsoldaten stärkt er nur ihre Widerstandskraft. Das setzt allerdings voraus, daß man sich ernsthaft mit der Frage der Befestigungen befaßt hat. Ich bin daher der Meinung, daß es absolut notwendig ist, auch hier im mittleren Frontabschnitt, ein Netz von gutgeschützten Gräben mit vorgeschobenen Drahtverhauen und Brustwehren zu schaffen. Madrid muß in eine Festung verwandelt werden, die Stadt muß sich ausschließlich dem Krieg und der Verteidigung widmen. Nur auf diese Weise kann es dazu kommen, daß der Gegner hier seine Kräfte verzettelt, und daß wir an anderen Fronten Erfolge erzielen können. Interviewer: Was kannst du uns über deine Kolonne sagen? Durruti: Ich bin mit ihr zufrieden. Meine Leute haben alles, was sie brauchen, und wenn die Stunde gekommen ist, schlagen sie sich ausgezeichnet. Ich will damit nicht sagen, daß die Miliz zu einer bloßen Kriegsmaschine geworden ist. Nein. Sie wissen einfach, warum und wofür sie kämpfen. Sie fühlen sich als Revolutionäre. Es sind weder leere Parolen noch mehr oder weniger vielversprechende Gesetze, was sie zum Kampf veranlaßt. Es geht ihnen um die Eroberung des Landes, der Fabriken, der Transportmittel, des Brotes und einer neuen Kultur. Sie wissen, daß ihre Zukunft von unserm Sieg abhängt. Wir führen Krieg und machen zugleich Revolution. Das ist es, was meiner Meinung nach die Umstände von uns fordern. Die revolutionären Maßnahmen, die das ganze Volk angehen, wer den nicht nur für das Hinterland, für Barcelona getroffen, sie gelten auch in der vordersten Linie. In jedem Dorf, das wir erobern, wird unverzüglich das Alltagsleben revolutioniert. Das ist das Beste an unserem Feldzug. Dazu gehört viel Leidenschaft. Wenn ich allein bin, denke ich oft darüber nach, wie gewaltig die Arbeit ist, die wir uns vorgenommen und in Gang gebracht haben. Dann fühle ich auch, wie groß die Verantwortung ist, die ich trage. Eine Niederlage meiner Kolonne wäre entsetzlich, denn wir können uns nicht einfach zurückziehen wie irgendeine andere Armee. Wir müßten alle Einwohner der Orte, in denen wir lagen, mitnehmen, alle ohne Ausnahme. Denn von unseren Vorposten bis weit hinten in Barcelona gibt es nur noch Kombattanten. Alles arbeitet für den Krieg und für die Revolution. Das ist unsere Stärke. Interviewer: Gehen wir zu der umstrittensten Frage des Tages über, der Frage der Disziplin.
Durruti: Gern. Man spricht viel darüber, aber die wenigsten, die davon reden, treffen den Kern der Sache. Disziplin
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