Der kurze Sommer der Anarchie
haben, das heißt für mich nichts anderes, als die eigene Verantwortung und die der andern achten. Ich bin gegen jede Kasernenhofdisziplin; sie führt nur zur Brutarisierung, zum Haß, zum bewußtlosen Funktionieren. Aber ebensowenig rede ich einer falschverstandenen Freiheit das Wort, wie sie die Feiglinge in Anspruch nehmen, um sich das Leben leicht zu machen. In unserer Organisation, der CNT, herrscht ein richtiges Verständnis der Disziplin; ihr ist es zu verdanken, daß die Anarchisten die Beschlüsse der Genossen respektieren, denen sie ihr Vertrauen gegeben haben. In Kriegszeiten muß den gewählten Delegierten gehorcht werden, sonst ist jede Operation zum Scheitern verurteilt. Wenn die Männer mit ihnen nicht einverstanden sind, müssen sie in den Versammlungen ihre Vertreter abberufen und durch andere ersetzen. Die Tricks, zu denen ein Soldat im Krieg Zuflucht nimmt, kenne ich auch aus meiner Kolonne zur Genüge: die kranke Mutter, die im Sterben liegt, die Frau, die ein Kind erwartet, das kleine Kind, das Fieber hat... Aber ich habe meine eigenen Hausmittel, um damit fertigzuwerden. Ein paar Tage Extraarbeit für den Schwindler! Die demoralisierenden Briefe in den Papierkorb! Wer darauf besteht, nach Hause gehen zu dürfen, weil er naturlich als Freiwilliger gekommen ist, der muß sich zuerst einmal eine meiner Predigten gefallen lassen. Ich mache ihm klar, daß er uns alle gewissermaßen hereinlegt, da wir auf ihn gezählt haben. Dann wird ihm seine Waffe abgenommen, die schließlich Eigentum der Kolonne ist. Wenn er immer noch darauf beharrt, kann er gehen, aber zu Fuß, denn die Autos brauchen wir ausschließlich für den Krieg. Es ist selten, daß es so weit kommt, denn der Milizionär hat auch seine Selbstachtung. Meistens genügt es, wenn ich erkläre, daß ich mir nicht auf der Nase herumtanzen lasse und daß ich der Chef der Kolonne bin, und schon kehren meine Leute an die Hauptkampflinie zurück und schlagen sich wie Helden.
Ich bin mit den Genossen zufrieden, und ich hoffe, daß auch sie mit mir zufrieden sind. Es fehlt ihnen an nichts. Ihre Frauen und Freundinnen können zu Besuch an die Front kommen, zwei Tage lang. Dann kehren sie wieder heim. Wir bekommen täglich unsere Zeitungen, wir haben sehr gute Verpflegung, Bücher gibt es, so viele wir wollen, und wenn an der Front Ruhe herrscht, fuhren wir Diskussionen, die den revolutionären Geist der Genossen immer neu beleben. Es wird nicht gefaulenzt, es gibt immer etwas zu tun. Vor allem müssen die Stellungen immer besser ausgebaut werden. Wie spät ist es jetzt? Ein Uhr morgens? Um diese Zeit sind meine Leute an der Aragon-Front dabei, Gräben auszuheben, und ich kann euch sagen, sie tun es gern.
Wir werden den Kneg gewinnen!
Durruti 7
Einmal sind wir zusammen nach Madrid geflogen, ich weiß nicht mehr weshalb, mit dem Flugzeug von Andre Malraux. Es war ein ganz kleines Flugzeug, eine Nußschale, es schaukelte wie verrückt. In Madrid sind wir am Polizeipräsidium vorbeigekommen, und Durruti hat sich zum Spaß die Akten geben lassen, sein ganzes Dossier von früher. Auch mir hat die spanische Polizei die Ehre erwiesen, alles mögliche über mich aufzuschreiben. Sie haben sogar mein Dossier aus Paris kommen lassen.
Wir haben uns sehr darüber amüsiert.
Emilienne Morin
Die Entsendung
Ich muß heute sagen, daß wahrscheinlich ich es war, die auf den Gedanken kam, Durruti solle mit seiner Kolonne nach Madrid gehen. Das nationale Komitee der CNT hat diese Idee aufgegriffen. Dessen Sekretär, Mariano R. Väzquez, hat zu Durruti gesagt: »Das ist richtig, der Moment ist gekommen, wo du in Madrid gebraucht wirst. Das Fünfte Regiment spielt dort die erste Geige, die Ankunft der Internationalen Brigaden steht bevor, und was haben wir dem entgegenzusetzen? Du mußt dein Prestige und die Kampfkraft deiner Kolonne in die Waagschale werfen, sonst geraten wir politisch ins Hintertreffen.«
Federica Montseny 1
Ich war absolut gegen die Entsendung Durrutis nach Madrid. Ich habe noch auf dem Weg nach Barcelona im Auto mit Federica Montseny über diese Frage diskutiert. Ich fragte sie, ob es nicht für die Revolution wichtiger wäre, ihn am Leben zu erhalten, stau ihn nach Madrid in den Tod zu schicken. Wir kannten seine Verwegenheit und seinen Mut. Es schien mir reiner Wahnsinn, ihn in die Hauptstadt zu schicken, jedenfalls mit so wenigen Truppen. Es wäre etwas anderes gewesen, wenn wir ein Expeditionskorps von 50 000 Milizsoldaten unter seinem
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