Der kurze Sommer der Anarchie
hierfür gab, mußte er wieder auf freien Fuß gesetzt werden. Er kehrte nach Zaragoza zurück, wo seine Familie lebte. Aber dort stellte ihm die Polizei eine neue Falle. Der Kardinal Soldevila, der Anstifter vieler Verbrechen gegen Arbeiter und »Subversive«, war von unbekannter Hand getötet worden, als er von einem Besuch in einem Nonnenkloster nach Hause gehen wollte. Massenhafte Verhaftungen von Gewerkschaftlern und Anarchisten waren die Folge. Bei dieser Razzia wurde auch Ascaso festgenommen. Zunächst mußte die Polizei ihn wieder freilassen, weil ein Aufseher und mehrere Gefangene aussagten, er sei zur Stunde des Attentats im Gefängnis zu Besuch gewesen. Als die Behörden aber bei ihren Ermittlungen nicht weiterkamen und einen Sündenbock brauchten, wurde er nach acht Tagen von neuem festgesetzt. Man bereitete einen Prozeß gegen ihn vor. Der Staatsanwalt verlangte die Todesstrafe. Da inzwischen der Diktator Primo de Rivera, der bereits zwei Anarchisten hatte hängen lassen, durch einen Putsch an die Macht gekommen war, fürchteten die Anarchisten um Ascasos Leben. Doch gelang es ihm noch vor Beginn des Prozesses, zusammen mit sechs andern politischen Gefangenen, aus dem Kerker zu fliehen.
v. de Rol
Jover
Jover war unter den Solidarios der Älteste; er trug dort den Spitznamen »der Ernsthafte«. Er stammte aus einer armen Bauernfamilie in der Provinz Teruel. Seine Eltern schickten ihn, um ihm das Dasein eines Taglöhners zu ersparen, nach Valencia, wo er Polsterer wurde und in einer Matratzenfabrik sein Auskommen fand. Zum ersten Mal wurde er eingesperrt, als es in seiner Branche zu einem Streik kam, bei dem es nicht ohne gewaltsame Aktionen abging: Streikbrecher wurden verprügelt, Betriebe belagert, und schließlich wurde, aus Notwehr gegen die Repressalien der Unternehmer, ein Fabrikbesitzer getötet. Das ganze Streikkomitee wurde verhaftet. Jover wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, wegen Anstiftung zur Gewalt, Körperverletzung und so weiter. Kaum war er entlassen, wurde er von neuem eingesperrt, diesmal wegen Verbreitung zersetzender Schriften in den Kasernen. Schließlich ging Jover nach Barcelona und wurde dort zu einem der militantesten Mitstreiter der verbotenen CNT. Die Bourgeoisie war damals zur gewaltsamen Offensive gegen die Arbeiter angetreten. Mit jedem Tag verschärfte sich der weiße Terror. Verhaftungen, Folter und Erschießung »auf der Flucht« waren an der Tagesordnung. Den anarchistischen Arbeitern blieb keine andere Wahl, als zur proletarischen Gewalt zu greifen. Jover ging, wie die besten seiner Genossen, mit der Waffe in der Hand gegen die Pistolen-Banden der Kapitalisten vor. Kein militanter Arbeiter konnte damals das Haus verlassen, ohne sich bis an die Zähne zu bewaffnen; am Arbeitsplatz lag die Pistole stets griffbereit neben dem Werkzeug. Der millionenschwere Unternehmer Graupera, Vorsitzender des Industriellenverbandes, fiel unter den Kugeln bewaffneter Kommandos. Es folgten die Mordpolizisten Barret, Bravo Portillo und Espejo. Maestre Laborde, Ex-Gouverneur von Barcelona, starb in Valencia. In Zaragoza fielen der Direktor der Eisenhütte von Bilbao, der Chef der Waggonfabrik, der Stadtbaumeister, ein Ingenieur der Elektrizitätsgesellschaft und ein Aufseher, der als Denunziant und Arbeiterschinder bekannt war, unter den Kugeln der Revolutionäre. Auch in Barcelona verteidigte die CNT sich verzweifelt.
Jeden Tag starb ein Arbeiter, am Tag darauf ein Bourgeois oder ein Polizist. Drei Jahre lang dauerte dieser Krieg auf den Straßen. Martinez Anido und Arlegui, die die Repression von ihren Büros aus leiteten, wagten es nicht, ihre Gesichter unter freiem Himmel zu zeigen. Die Polizei gab bekannt, sie habe ein Komplott der Anarchisten aufgedeckt, dem Martinez Anido zum Opfer fallen sollte. Angeblich wollten die Verschwörer zuerst den Bürgermeister von Barcelona erschießen und dann auf dessen Begräbnis, bei dem sich Anido und Arlegui zeigen mußten, die Ehrengäste mit Handgranaten töten. Die Repression wurde noch verstärkt. Die proletarische Gewalt ging zum Gegenangriff über. Der Jagdclub von Barcelona, in dem sich die Industriemagnaten versammelten, wurde trotz stärkster Bewachung mit Handgranaten angegriffen; mehrere Unternehmer wurden schwer verletzt. Auch der Bürgermeister der Stadt wurde bei einer Schießerei verwundet, ebenso wie der katholische Stadtrat Anglada. In dieser Atmosphäre fortwährender Kämpfe, unter ständiger Lebensgefahr, zeichnete
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