Der kurze Sommer der Anarchie
Verschwörung auf der Spur, die sich die Ermordung des spanischen Königs zum Ziel gesetzt habe.
Der König sollte am 14. Juli mit großem Pomp empfangen werden. In einem möblierten Zimmer in der Rue Legendre wurden drei Männer festgenommen, nach denen auch in Spanien gefahndet wurde: Ascaso, Durruti und Jover. Im Oktober kamen sie vor die Strafkammer. Die Anklage lautete auf Widerstand gegen die Staatsgewalt, Paßvergehen, Verstoß gegen die fremdenpolizeilichen Bestimmungen - alles Straftaten, die verhältnismäßig unerheblich schienen. In der Verhandlung hatten die Angeklagten eher herausfordernd argumentiert und das Recht für sich in Anspruch genommen, zum Sturz eines verhaßten Regimes alles zu tun, was sie konnten. Sie hatten zugegeben, daß sie sich der Person des Königs bemächtigen wollten, um die Revolution in Spanien herbeizuführen.
Sie wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt und dann dem Verfahrensgerichtshof überstellt. Dort stand für sie wesentlich mehr auf dem Spiel. Es lagen nämlich zwei Auslieferungsbegehren vor: eines von Seiten der argentinischen Regierung »wegen des Verdachts, die Urheber eines Raubüberfalls auf die Bank von San Martin« zu sein, und ein weiteres von Seiten Spaniens. Madrid behauptete, Durruti habe an einem Überfall auf die Bank von Spanien in Gijon teilgenommen, Ascaso aber an dem Attentat, dem 1923 der Kardinal-Erzbischof von Zaragoza zum Opfer gefallen war.
Die französische Regierung hatte das spanische Begehren abgelehnt, das argentinische jedoch zur Entscheidung an den Verfahrensgerichtshof überwiesen. Berthon, Guernut, Corcos und ich traten als Verteidiger auf. Die Polizei erschien mit einem ungewöhnlichen Kräfteaufgebot im Gerichtssaal.
Der ganze Justizpalast glich einem Aufmarschgelände. Ascaso, Durruti und Jover ließ die Mobilmachung der Polizei unbeeindruckt. Mit ihrem dunklen, vollen Haar, ihren sonnenverbrannten Gesichtern, ihren struppigen Augenbrauen und ihren harten Mündern hätten sie einem Goya als Modelle dienen können. Zugunsten dieser wilden »Pistoleros« entfaltete Berthon mit seinen einschmeichelnden Worten, seinen verbindlichen Gesten wieder einmal die ganze Kunst des Euphemismus: »Hoher Gerichtshof«, sagte er, »ich habe die Ehre, vor Ihnen drei Männer zu vertreten, die am äußersten Pol der liberalen spanischen Opposition ste hen.«
Das Gericht sprach sich für die Auslieferung aus. Sein Spruch war jedoch für die Regierung nicht verbindlich.
Nach dem Gesetz konnte sich das Kabinett über das Urteil hinwegsetzen. Wir gaben uns also nicht geschlagen; wir begannen eine Kampagne in der Öffentlichkeit und wandten uns zugleich intern an Leute wie Herriot, Painleve und Leygues.
Henri Torres
Über ein Jahr lang blieb Durruti im Gefängnis der Conciergerie gefangen. Er saß dort in derselben Zelle, in der Marie Antoinette bis zu ihrer Enthauptung gesessen hatte. Nach seiner Freilassung brachte ihn die Polizei an die belgische Grenze und forderte ihn auf, sie illegal zu überqueren. Auf diese Weise wollte die französische Regierung die Auslieferungswünsche Primo de Riveras, die ihr lästig waren, umgehen.
Canovas Cervantes
Die Kampagne
Ich führte im Namen des Komitees für Sacco und Vanzetti eine langandauernde und weitgespannte Kampagne, zur Rettung dieser beiden amerikanischen Anarchisten vor dem elektrischen Stuhl, als mir eines Tages meine Genossen sagten: »Und was ist mit Ascaso, Durruti und Jover? Du mußt auch ihre Verteidigung auf dich nehmen.«
Diese drei spanischen Anarchisten hatten ihren politischen Kampf in den Reihen der CNT geführt und waren nach dem Verbot der Organisation durch Martinez Anido, den Henker von Katalonien, und durch Primo de Rivera, den ersten Lakaien Alfons XIII., nach Argentinien entkommen. Sie kehrten nach Paris zurück, um »ihren König«, der dort einen Staatsbesuch abstatten wollte, im wahrsten Sinn des Wortes zu treffen. In Buenos Aires war ein Verbrechen begangen worden: ein Raubmord an einem Bank-Kassierer. Ein Taxichauffeur, den die Polizei in die Zange nahm, lenkte den Verdacht auf Ascaso, Durruti und Jover. Auch die überstürzte Abreise der »drei Musketiere«, wie man sie in Spanien nannte, erweckte einen gewissen Argwohn, obgleich sie völlig unschuldig waren.
Argentinien hatte bei den französischen Behörden um ihre Auslieferung nachgesucht, und diesem Ersuchen war im Prinzip stattgegeben worden. Allerdings sollten Ascaso, Durruti und Jover zuvor eine Gefängnisstrafe von sechs
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