Der kurze Sommer der Anarchie
gerade vielversprechend, aber immerhin war die Liga ein Hebelarm, den wir dringend brauchten.
Der Hinweis auf die Unterstützung der Liga öffnete uns alle Türen. Der Innenminister bemühte sich persönlich zu Basch und Guernut, um sie gegen uns einzunehmen. Er behauptete, die Schuld der drei Spanier sei über jeden Zweifel erhaben, die Liga würde von uns wider besseres Wissen mißbraucht. Ich wurde zu Basch und Guernut zitiert. Ihre Stimmen höre ich heute noch: »Lecoin, sagen Sie uns die Wahrheit! Geben Sie zu, daß Ihre Freunde nicht unschuldig sind! Wenn Sie auch nur den geringsten Zweifel haben, dürfen Sie die Liga nicht kompromittieren!«
Unterdessen hatten wir fünf oder sechs Tageszeitungen auf unserer Seite. Auch die andern Blätter rückten Nachrichten über unser Vorgehen ein. Das Komitee zur Verteidigung des Asylrechts war eine Macht geworden, die Auslieferung von Ascaso, Durruti und Jover eine Staatsaffäre, in die sich die Regierung verwickelt sah. Die drei Gefangenen waren unterdessen in einen Hungerstreik getreten. Man brachte sie in das Lazarett von Fresnes. Sie waren sehr entkräftet, aber Barthou mußte nachgeben und eine gerichtliche Prüfung zusichern. Mit dieser Nachricht fuhr ich nach Fresnes. Der Direktor des Gefängnisses und seine Untergebenen empfingen mich mit einem Spalier; es war das einzige Mal in meinem Leben, daß ich im Triumphzug ins Gefängnis kam. Ich traf die drei Protestierenden im Bett an, jeden in einem Einzelzimmer. Sie freuten sich sehr, mich zu sehen.
Man brachte sie also vor den zuständigen Richter. Aber der verschanzte sich hinter seinen Paragraphen, weigerte sich, auf die Sache selbst einzugehen und beschränkte sich auf die formale Frage, ob das Auslieferungsbegehren statthaft sei. Den Plädoyers von vier ausgezeichneten Anwälten zum Trotz - es waren Corcos, Guernut, Berthon und Torres - bejahte er diese Frage. Es schien, als hätte der Innenminister das Spiel gewonnen. Der stellvertretende Polizeipräsident von Buenos Aires war bereits in Paris eingetroffen, um die Gefangenen zu übernehmen. Er rieb sich die Hände.
Die Sache schien verloren. Ich verdoppelte meine Anstrengungen. Sechstausend Menschen versammelten sich im Tanzpalast Bullier zu einer Kundgebung. Es wurde beschlossen, eine Abordnung zu den Ministern Painleve und Herriot zu schicken. Painleve zeigte sich verlegen; er stammelte: »Gewiß doch... Freilich...« Es war soviel Verlaß auf ihn wie auf einen angefaulten Steg. Herriot zeigte eine bessere Haltung. Er ließ sich innerhalb von 48 Stunden alle erreichbaren Unterlagen über die Affäre bringen und versprach, die Angelegenheit vor das Kabinett zu bringen. Er erreichte, daß die Entscheidung bis zu einer neuen Überprüfung vertagt wurde. Der stellvertretende Polizeipräsident von Buenos Aires trat verärgert die Rückreise an. Die argentinische Presse kam mit großen Schlagzeilen heraus: »Die französische Regierung von einer Gangsterbande matt gesetzt!«
Wenn es nach der Öffentlichkeit gegangen wäre, so hätten Ascaso und Durruti längst freigelassen werden müssen. Aber die Regierung stand unter dem Druck des spanischen Königshauses. Sie zog es vor, noch einmal nachzugeben, und beschloß endgültig die Auslieferung.
Nur eine Regierungskrise konnte diesen Beschluß umstürzen, und nur das Parlament konnte eine Regierungskrise auslösen. Wir versuchten, einflußreiche Abgeordnete aufzutreiben, die bereit waren, einen Dringlichkeitsantrag an die Nationalversammlung zu richten.
Ich verschaffte mir eine unbefristete Einlaßkarte für die Nationalversammlung und richtete dort mein Hauptquartier ein. Fünf Abgeordnete unterstützten bereits den Dringlichkeitsantrag. Sie waren für zweihundert Stimmen gut. Es fehlten mir noch fünfzig Stimmen, die ich aus der Regierungsmehrheit herausbrechen mußte. Das erforderte sorgfältige Vorbereitungen. Übrigens eignet sich für eine solche Aufgabe niemand besser als ein eingefleischter Gegner des Parlamentarismus! Inzwischen sprach ganz Frankreich nur noch von Ascaso, Durruti und Jover. Argentinien hatte bereits ein Kriegsschiff entsandt, um die Gefangenen aufzunehmen. Der Kreuzer blieb mit einem Maschinenschaden mitten im Atlantik liegen. Die Auslieferungsfrist war abgelaufen. Aber die »drei Musketiere« saßen immer noch in der Conciergerie. Wir beriefen uns auf die gesetzlichen Vorschriften und verlangten ihre sofortige Freilassung. Wir wurden natürlich ausgelacht. Endlich kam der Tag der
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