Der kurze Sommer der Anarchie
aus bester Vulkanfiber. Man hätte glauben können, ich sei ein Händler, der seine Ware loswerden wollte. Aber alles vergebens:
Ascaso wollte ihn nicht haben. Warum nicht, das habe ich erst später begriffen. Der Koffer wurde gebraucht, um ein paar zerlegte Gewehre und andere Waffen zu transportieren. Paris bereitete sich in jenen Tagen, es war das Jahr 1926, auf den Staatsbesuch des Königs Alfons XIII. von Spanien vor. Dieser Mann hatte mehr Verbrechen auf dem Gewissen als seine ganze Familie, die Bourbonen. Durruti und Ascaso hatten sich vorgenommen, die Klänge der Marseillaise, mit denen die Dritte Republik den Mörder von Francisco Ferrer empfangen wollte, mit ein paar Schüssen zu begleiten. Ihre Vorbereitungen trafen sie mit der größten Kaltblütigkeit.
Es liegt in der Natur eines jeden Spaniers, auch wenn er Proletarier ist, wie ein großer Herr, um nicht zu sagen, wie ein spanischer Grande aufzutreten. Diese Gabe war auch unsern beiden Genossen eigen, und sie machten in den Tagen, die dem Staatsbesuch vorangingen, reichlich davon Gebrauch. Um dem Spitzelnetz der Polizei zu entgehen, suchten sie dieselben Orte auf wie die große Welt der französischen Hauptstadt. Sie spielten Tennis im Club, ja sie hatten sich sogar eigens ein luxuriöses Automobil angeschafft, um beim feierlichen Empfang neben den Karossen der Staatsmänner nicht aufzufallen. Die ganze Angelegenheit war sehr gründlich organisiert. Am Vorabend des Staatsbesuchs aßen wir bei Berthe zu Abend. Ich erinnere mich, daß sie uns eine Sagosuppe vorsetzte, die weder mir noch Ascaso schmecken wollte. Wir machten uns über ihre Kochkunst lustig. Als Durruti und Ascaso das Haus verließen, weinte sie.
»Wo zwei sich verschwören, ist mein Mann der Dritte«, soll Maniscalco, der berühmte Lockspitzel der Bourbonen, einmal gesagt haben. Diesmal saß der Dritte Mann am Steuer des Autos, das Ascaso und Durruti zum Tatort bringen sollte. Er hatte sich an die französische Polizei verkauft. Die beiden Attentäter wurden verhaftet, und Paris konnte Alfons XIII. zu den Klängen der Marseillaise empfangen, ohne aus dem Takt zu geraten.
Wenn die französische Demokratie ihre Gefangenen nicht der Rache der bourbonischen Hyäne auslieferte, so ist das den entschiedenen Protesten der Pariser Genossen zuzuschreiben. Sie gaben keine Ruhe, bis Durruti und Ascaso freigelassen und an die belgische Grenze deportiert worden waren.
Aus Belgien, wo er Arbeit in einer Mechaniker-Werkstatt fand, schickte mir Francisco Ascaso einen letzten Gruß. Obwohl ihm vieles durch den Kopf gegangen sein muß, habe ich den jungen Ascaso nie grübeln sehen. Immer schien er mir guter Laune, zu Scherzen aufgelegt, ein kleingewachsener, leichter, behender Mann, dem die arabische Herkunft ins Gesicht geschrieben stand. Seine Gesichtsfarbe war dunkel. Er trug keinen Bart. Seine schwarzen Haare waren immer sorgfältig gekämmt.
Durruti war größer von Gestalt, zurückhaltender und etwas wortkarg, es sei denn, der Anlaß hätte seine bündige Energie herausgefordert. Ich glaube, er trug damals eine große Brille. Er war wohl etwas kurzsichtig. Die beiden Freunde waren unzertrennlich, keiner konnte den andern entbehren: der Mann des Gedankens nicht den Mann der Aktion, und umgekehrt.
Ideologisch gesehen waren sie alles andere als Individualisten.
Sie glaubten an die Notwendigkeit der Organisation. Aber sie hielten den einzelnen für einen Motor, der notwendig war, um die Massen in Bewegung zu bringen. Sie warteten nicht auf die Massen, sie verlangten nichts von ihnen; im Gegenteil, sie hatten ihnen etwas zu geben und mitzuteilen.
Nino Napolitano
Ascaso hat mir auch erzählt, wie sie das Attentat auf Alfons XIII. vorbereitet haben, in Paris. Sie wollten den König von Spanien liquidieren. Sie wußten ganz genau, wo der Zug vorbeikommen würde und wo sie losschlagen wollten. Aber sie hatten einen, der sollte sie im Taxi hinfahren, und der hat sie denunziert. Da hat sie die Polizei überwacht, und eines Morgens, als sie sich in aller Ruhe ihre Zeitung kaufen wollten, wurden sie verhaftet. Und dann kam der große Prozeß gegen Durruti, Ascaso und Jover, und sie saßen alle drei auf der Anklagebank.
Eugenio Valdenebro
Der Prozeß
Ich habe viele spanische Anarchisten vor Gericht verteidigt, mit wechselndem, meistens aber gutem Erfolg; die trotzigsten und mutigsten unter ihnen waren Ascaso, Durruti und Jover. Am 2. Juli 1926 gaben die französischen Behörden bekannt, die Polizei sei einer
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