Der kurze Sommer der Anarchie
Zaragoza.
In den paar Wochen seines Aufenthaltes habe ich viel mit Durruti diskutiert. Er lernte Rudolf Rocker, Fritz Kater, auch Erich Mühsam kennen. Manchmal war die Verständigung nicht leicht, denn Durruti sprach natürlich nicht deutsch. Die Gespräche drehten sich um die Revolution. Durruti hat immer darauf bestanden, daß die Revolution nicht auf die Diktatur einer Partei hinauslaufen dürfe, daß die neue Gesellschaft von unten nach oben hin aufgebaut sein müsse und nicht von oben her dekretiert werden dürfe. Das war es ja, weshalb sich die Anarchisten mit dem Ergebnis der russischen Revolution nicht abfinden konnten.
Augustin Souchy 1
Durruti hat einen großen Eindruck auf mich gemacht. Er war riesig, athletisch gebaut, mit einem mächtigen Kopf, eine Art Danton. Seine Stimme war gewaltig. Freilich, wenn er wollte, konnte er auch gutmütig sein, ja fast zärtlich.
Ich wußte natürlich viel von ihm und seinen Freunden, von ihrer Wanderschaft durch die Länder Lateinamerikas, von ihren Handstreichen. Aber eines muß man ihnen lassen: Ascaso und Durruti waren zwar, wenn Sie so wollen, politische Gangster, jedenfalls Terroristen der ersten Stunde — heute sind ja die Zeitungen voll davon -, aber sie haben nie auch nur einen Pfennig für sich behalten.
Federica Montseny 1
Stille Tage in Brüssel
1930 erlangten sie endlich in Brüssel die Aufenthaltserlaubnis für Belgien. Sie haben zwei Jahre lang in Brüssel gelebt. Dort sind Ascaso und Durruti meine Freunde geworden. Ascaso war ein sehr freundlicher Genosse, ironisch und vernünftig, sanft und nachdrücklich zugleich; er schien mir immer etwas kränklich zu sein. Durruti dagegen wirkte baumstark, athletisch; er war stark behaart und grinste wie ein Raubtier. Nur sein Blick war gutmütig und intelligent. Ascaso habe ich als ersten kennengelernt. Wir arbeiteten im selben Betrieb, einer Werkstatt für Auto-Ersatzteile. Schon unser erstes Gespräch drehte sich um gesellschaftliche Probleme. Ich höre ihn heute noch, wie er mit seiner sanften Stimme sagte: »Kein Mensch hat das Recht, einen anderen zu regieren.« Ich war gleich von ihm fasziniert. Wer die Jahre 1930 bis 1931 in Brüssel verbracht hat, wird sich erinnern, wie viele ausländische Genossen, vor allem Spanier und Italiener, damals dort zuhause waren. Und sie werden mit einer gewissen Wehmut der Zuflucht gedenken, die sie fanden: das bizarre und zwanglose Nest der Buchhandlung am Mont des Arts, die der gute Hem Day eingerichtet hatte. Das war der Treffpunkt aller »subversiven Elemente«.
Im ersten Stock gab es zwei Mieter: mich und die Firma Barasco.
Dieser seltsame Betrieb stellte allerhand Kleinigkeiten her, die direkt über fliegende Händler vertrieben wurden. Die »Fabrik« bestand aus einem Zimmer, das zugleich als Speisesaal, Wohnzimmer, Küche und Schlafzimmer oder vielmehr Schlafsaal diente - denn die Zahl der nächtlichen Gäste war unbegrenzt. Ein gutes halbes Dutzend Leute war unter dem Namen Barasco gemeldet, unter ihnen auch Ascaso und Durruti.
Leo Campion
Ich habe dann meine Arbeit als Stenotypistin aufgegeben und bin ihm nachgereist, nach Brüssel. Die spanischen Flüchtlinge haben in Belgien sozusagen halblegal gelebt, alle mit falschen Pässen, unter falschen Namen. Aber die belgische Polizei wußte natürlich genau Bescheid. Durruti konnte nirgendwohin reisen, ohne daß sie ihm sein Dossier nachgeschickt hätten. Aber in Brüssel haben sie uns im großen und ganzen in Ruhe gelassen.
Emilienne Morin
Ascaso und Durruti ergänzten einander vollkommen. Durruti war der Mann der Aktion, des Ungestüms, der Begeisterung, der das Vertrauen der Menschen gewann; Ascaso der Mann der Ruhe, der Überlegung, der Zähigkeit, der Freundlichkeit und des Kalküls. Er war ein vollendeter Stratege. Er war es, der die revolutionären Aktionen plante. Seine Berechnungen waren so genau, daß zur festgesetzten Stunde jedes Detail stimmte. Durrutis Stärke war die Schnelligkeit und die Rücksichtslosigkeit, mit der er zu handeln wußte; er stellte die Gewalt in den Dienst eines starken Herzens und eines überlegenen Wissens. Einer brauchte den andern, und zusammen war es schwer, ihnen zu widerstehen.
Canovas Cervantes
Vierte Glosse. Über die spanische Zwickmühle 1931 - 1936
Die spanische Arbeiterklasse feierte die Proklamation der Republik als einen politischen Sieg. Wie nach jeder Periode der Unterdrückung formierte sich die CNT augenblicklich von neuem; ihre spezifische
Weitere Kostenlose Bücher