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Der kurze Sommer der Anarchie

Der kurze Sommer der Anarchie

Titel: Der kurze Sommer der Anarchie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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schiere Schludrigkeit und Unfähigkeit auf allen Ebenen. Um die handgreiflichen Schwächen der Milizen zu überwinden, bedürfte es heroischer Anstrengungen von Seiten eines Kerns aus hervorragenden Offizieren und Politikern.
    Franz Borkenau

    Der Racheengel
    Die Einwohner der vielen Dörfer und Kleinstädte, durch die wir gefahren sind, bewachen zwar ihr eigenes Terrain mit Leidenschaft, sie haben aber keinen einzigen Mann an die Front geschickt. Die Milizen rekrutieren sich in der Hauptsache aus Barcelona.
In der alten, verfallenden Landstadt Cervera hat es früher ein Priesterseminar gegeben. Ich frage eine der Wachen aus dem Ort, einen gutaussehenden Jungen, der sicher nicht älter als sechzehn ist, was daraus geworden ist, und er antwortet mit einem entzückten Lächeln: »Ach, mit denen ist Schluß gemacht worden, und wie!« Alle Kirchen ohne Ausnahme sind niedergebrannt; nur die Mauern stehen noch. Die Brandstiftungen sind auf Anweisung der CNT oder durchmarschierender Kolonnen der Miliz geschehen.
In der ganzen Gegend ist es kaum zu wirklichen Kämpfen zwischen den Anhängern Francos und denen der Generalität gekommen.
Es gibt wenig sichtbare Anzeichen dafür, daß wir uns der Front nähern. Die Straße ist in unversehrtem Zustand.
Der Verkehr ist geringer als in Friedenszeiten. Ein paar Lastkraftwagen mit Verpflegung, noch weniger mit Munition fahren an uns vorbei zur Front, andere kehren leer zurück. Wir haben kein einziges Sanitäts-Fahrzeug gesehen.
Da alle Straßen, die für den Südabschnitt der ZaragozaFront von Bedeutung sind, in Lerida zusammenlaufen, hatte ich erwartet, daß die Stadt ein reges Leben zeigen würde. Es herrschte aber auch dort kaum Betrieb. Dreißig oder vierzig Lastwagen und Autos sind an der Plaza geparkt, und in den Straßen der Stadt trifft man etliche Miliz-Soldaten. Im ganzen werden es höchstens ein paar Hundert sein. Im Büro des Provinzgouverneurs herrscht Gedränge. Die Soldaten sprechen dort erregt und begeistert von Buenaventura Durruti, dem Anarchistenführer, und seiner Kolonne; er und seine Leute sind die Volkshelden des Kriegs in Katalonien, zum Nachteil der anderen katalanischen Kolonnen. Durruti hat den Ruf eines Racheengels der Armen. Seine Kolonne ist bekannt dafür, daß sie bei der Erschießung der Faschisten, der Pfarrer und der Reichen auf den Dörfern rücksichtsloser als jede andere vorgeht.
Alle Milizsoldaten Kataloniens rühmen ihren Vormarsch auf Zaragoza zu, der ohne Rücksicht auf eigene Opfer und Verluste vorangetrieben wird. Einige der Wachen im Gouverneurspalast haben unter Durruti gekämpft. Mit einem naiven Lächeln, ganz frei von Sadismus, eher mit dem stillvergnügten Ausdruck von Kindern, die von einem gelungenen Streich erzählen, zeigen sie mir ihre Dum-Dum-Geschosse, die sie aus regulären Patronen gefertigt haben. Einer erklärt mir: »Für Gefangene!«, und damit will er sagen, daß eine solche Kugel auf jeden Gefangenen wartet. So sieht also der Bürgerkrieg in Spanien aus. Ich neige zu der Annahme, daß es im Lager Francos nicht anders aussieht. Auf beiden Seiten müssen neutrale Auslandskorrespondenten über vieles schweigen, wenn sie nicht ernsthafte Risiken eingehen wollen.
    Franz Borkenau

    »Ihr in Rußland habt einen richtigen Staat, wir aber sind für die Freiheit«, sagte ein Wachtposten im rotschwarzen Hemd bei der Ausweiskontrolle zu mir. »Wir wollen den freien Kommunismus einführen.«
»Comunismo libertario!« Diese Worte klingen mir heute noch in den Ohren. Wie oft habe ich sie gehört: als Herausforderung, als Schwur!
Um das bisweilen unbegreifliche Verhalten der Anarchisten zu erklären, wurde manchmal darauf hingewiesen, daß ihre Kolonnen von Banditen nur so wimmeln. Zweifellos sickerten in die anarchistischen Reihen ganz gewöhnliche Räuber und Diebe ein; die an der Macht befindliche Partei zieht stets nicht nur die ehrlichen Menschen, sondern auch den Pöbel an. Damals konnte sich jedermann für einen Anarchisten ausgeben. Als ich im September 1936 in Valencia war, traf dort von der Teruel-Front eine Hundertschaft der anarchistischen »Eisernen Kolonne« ein. Die Anarchisten erklärten, ihr Kommandeur sei im Kampf gefallen und sie wüßten nicht, was sie tun sollten. In Valencia fanden sie Beschäftigung. Sie verbrannten die Gerichtsarchive und versuchten ins Gefängnis einzudringen und die dort sitzenden Kriminellen zu befreien; wahrscheinlich waren Kumpane darunter.
Trotzdem waren die Kriminellen nebensächlich.

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