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Der kurze Sommer der Anarchie

Der kurze Sommer der Anarchie

Titel: Der kurze Sommer der Anarchie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Krieg ohne Feldherrn
    Als ich Durruti 1936 wiedertraf, war er zu einem einflußreichen Mann geworden. Einen politischen Fuhrer großen Kalibers habe ich jedoch nie in ihm sehen können, dazu fehlte ihm schon der nötige intellektuelle Horizont.
Er war zwar, wenn er öffentlich auftrat, ein guter Agitator, aber kein bedeutender Redner. Er verfügte über gesunden Menschenverstand und über die Fähigkeit, andere nach ihrem wirklichen Wert einzuschätzen. Auch war er verhältnismäßig bescheiden. Seine Macht rührte vor allem daher, daß er die Einbildungskraft der Massen fesselte, besonders in Spanien. Die meridionale Phantasie schafft sich ihre eigenen Mythen, wissen Sie. Seine militärischen Fähigkeiten waren begrenzt, ein Feldherr war er nicht. Von Strategie hatte er keinen rechten Begriff. Als Truppenführer legte er sowohl Mut wie auch Vernunft an den Tag, außerdem einen erstaunlichen Sinn für das rechte Maß. Er gehörte nicht zu denen, die blindlings Faschisten oder vermeintliche Faschisten hinrichten ließen.
Er wußte ganz genau, daß in solchen undurchsichtigen Situationen die trübsten Verdächtigungen gedeihen. Ich erinnere mich zum Beispiel, daß er einen ausländischen Genossen, der gegen Übergriffe protestiert hatte, vor der Hinrichtung bewahrte. Auch nahm Durruti nicht jeden, der sich freiwillig meldete. Ich habe erlebt, wie er bewährten Anarchisten gesagt hat: »Schlagen kann sich jeder Kraftmeier, du gehst zurück in dein Dorf, in deine Fabrik. Fähige Organisatoren sind selten, sie müssen dahin gehen, wo sie gebraucht werden; hier an der Front können wir dich entbehren.«
    Gaston Leval

    Ein Feldherr, nein, das war er nicht, das war keiner von uns. Wir hatten eine ziemlich genaue Vorstellung von der Stadtguerilla, in Barcelona und anderswo, auf der Straße, inmitten einer Bevölkerung, die wir kannten, wo wir wußten, hier ist ein Versteck, dort drüben an der Ecke der Zeitungsmann ist ein Genosse, gegenüber das Polizeirevier, Waffenlager, Hafenschuppen, wir kannten jeden Meter Terrain. Aber auf dem Land, Höhe soundsoviel, Schützengräben, Generalstabskarten, davon hatten wir wenig Ahnung, das war nicht unsere Sache, wozu auch? Vor dem Putsch der Generäle brauchten wir das alles nicht. Nein, große Strategen sind wir nicht gewesen, auch Durruti nicht.
    Ricardo Sanz

    Mein Begleiter, der nicht gerade ein Freund der Anarchisten ist, hatte die Kolonne Durruti besucht und kehrte völlig angeekelt zurück. Freilich ist Durruti unbestreitbar weiter als alle andern Kolonnen in Richtung Zaragoza vorgestoßen, ohne das Leben seiner Leute oder sein eigenes zu schonen, im Vertrauen auf die unbegrenzten Reserven, die ihm das anarchistische Proletariat von Barcelona zur Verfügung stellen kann. Schließlich wies ihn das Oberkommando unter Oberst Villalba an, dieser Verschwendung von Menschenleben ein Ende zu machen, und nach vielem Hin und Her gelang es ihm Durruti zum Stillhalten zu bewegen. Soweit der Bericht meines Freundes, der den Sozialisten nahestand. Ich kann mir nicht helfen, aber ich hege, was seine Schlußfolgerungen angeht, gewisse Zweifel. Nach alldem, was ich selber an der Front gesehen habe, zeigten wenigstens die übrigen Kolonnen keine übertriebene Lust, ihre Hälse zu riskieren; sie hatten praktisch keine Verluste. Auf diese Weise würde es den Katalanen nie gelingen, Zaragoza zu nehmen. Es ist möglich, daß Durruti ins entgegengesetzte Extrem verfallen ist; in diesem Fall wäre es aber nötig gewesen, einen Mittelweg zwischen sinnloser Aufopferung und unentschlossener Zaghaftigkeit zu finden. Mit Rücksicht auf die Lage an der gesamten Aragon-Front war der fanatische Vorstoß der Kolonne Durruti, vorausgesetzt, er würde militärisch richtig genutzt, auf jeden Fall ein günstiger Faktor.
Seitdem ich die Front gesehen habe, wundere ich mich über den Mangel an Wirklichkeitssinn, der sich im Kalkül aller hiesigen politischen Gruppen zeigt. Sie rechnen alle mit dem bevorstehenden Fall Zaragozas. In Wirklichkeit kann davon gar keine Rede sein. Deshalb halte ich es für unfair, wenn die Leute von der POUM unter der Hand die Regierung beschuldigen, sie sabotiere in verräterischer Absicht die militärischen Operationen. Zwar wäre es nur natürlich, wenn die Regierung mit Grauen an das dächte, was die Anarchisten nach der vielberedeten Eroberung von Zaragoza anstellen würden. Doch ist offensichtlich, daß es dazu gar nicht kommen wird.
Nicht Verrat von oben ist daran schuld, sondern

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