Der kurze Sommer der Anarchie
Im Herbst 1936 vereinigte die CNT drei Viertel der Arbeiter Kataloniens in ihren Reihen. Die Führer der CNT und FAI waren Arbeiter und meistens ehrliche Männer. Das Schlimme war, daß sie zwar den Dogmatismus geißelten, dabei aber selber waschechte Dogmatiker waren. Sie versuchten, das Leben in ihre Theorien zu zwängen.
Die Klügsten von ihnen bemerkten die Diskrepanz zwischen den schönklingenden Broschüren und der rauhen Wirklichkeit. Sie mußten nun aus dem Stegreif, im Bombenhagel und Geschoßregen, das umbauen, was für sie gestern noch unverbrüchliche Wahrheit gewesen war.
Ilja Erenburg 1
Während der ersten Tage der Revolution wurden alle Kirchen von Lerida angezündet. An dem Tag, da die Kolonne Durruti auf dem Weg zur Aragon-Front die Stadt passierte, steckten die Milizionäre die Kathedrale in Brand, nachdem sie ihre Genossen aus Lerida, die es nicht wagten, den Dom zu zerstören, als Feiglinge beschimpft hatten. Die Kathedrale brannte zwei Tage lang.
Anonymus 1
»Der rote Pfarrer«, »Durrutis Sekretär« — diese Nachrede hängt mir heute noch an, obwohl das gar nicht stimmt. Ich hatte nie etwas für den Anarchismus übrig, und Durruti hatte nie einen Sekretär. Ich war einfach Schreiber auf der Schreibstube der Kolonne. Aber ich muß zugeben, daß Durruti ein gerechter Mann war, und wenn ihm manche Leute nachsagen, er wäre ein Mörder und Rauber gewesen, so sind sie Verleumder, und ich werde meinen Freund gegen solche Lugen verteidigen. Zum Beispiel heißt es immer wieder, er und seine Kolonne hätten die Kathedrale von Lerida angezündet. Aber wann hat die Kathedrale gebrannt? Das war am 25. August. Die Kolonne aber hat Lerida auf ihrem Vormarsch am 24. Juli passiert, und ich versichere Ihnen, daß sie nicht kehrt gemacht hat, um einen Monat später eine Kirche anzuzünden. In Wirklichkeit war es so: eine Hundertschaft von Ultraradikalen ist auf dem Weg von Barcelona zur Front durch Lerida gekommen, und da ist ihnen nichts besseres eingefallen als das Gotteshaus zu verbrennen. Als sie im Hauptquartier Durrutis ankamen, war die Nachricht von ihrer Heldentat schon bis zu uns gedrungen. Durruti, der sehr listig sein konnte, ließ sie antreten und rief: »Die tapferen Männer, die die Aktion in Lerida durchgeführt haben, vortreten!« Natürlich wurden die Schuldigen aufs strengste bestraft.
Jesus Arnal Pena 1
Drei Journalisten
Ende August, Anfang September fuhr ich mit Karmen und Makasseev zu Durrutis Gefechtsstand. Es war damals sein Traum, Zaragoza zu erobern. Der Gefechtsstand befand sich am Ufer des Ebro. Ich hatte meinen Begleitern erzählt, Durruti sei ein Bekannter von mir; sie waren daher auf einen herzlichen Empfang gefaßt. Durruti aber zog einen Revolver aus der Tasche, sagte, ich hätte in meinem Aufsatz über den asturischen Aufstand die Anarchisten verleumdet, und fügte hinzu, er werde mich sogleich über den Haufen schießen. Leere Worte pflegte Durruti nicht zu machen. »Tu, was du willst«, erwiderte ich, »aber ich finde, daß du die Regeln der Gastfreundschaft ein wenig seltsam auffaßt.« Durruti war zwar Anarchist und zudem jähzornig, aber außerdem Spanier. Meine Antwort brachte ihn in Verlegenheit: »Gut. Hier bist du mein Gast. Aber deinen Aufsatz werde ich dir noch heimzahlen. Nicht hier: in Barcelona!«
Da er mich wegen der Regeln der Gastfreundschaft nicht umbringen konnte, begann er wüst zu schimpfen. Er schrie, die Sowjetunion sei keine freie Kommune, sondern ein Staat, wie er im Buche steht, ein Staat mit zahllosen Bürokraten, die ihn nicht zufällig aus Moskau ausgewiesen hätten. Karmen und Makasseev spürten, daß etwas Ungutes vorging, das plötzliche Auftauchen des Revolvers bedurfte keiner Übersetzung. Eine Stunde später sagte ich ihnen: »Es ist alles in Ordnung. Er lädt uns zum Abendessen ein.«
An den Tischen saßen Milizmänner, die einen in rotschwarzen Hemden, die anderen in blauen Trainingsanzügen, alle mit gewaltigen Revolvern bewaffnet. Sie saßen, aßen, tranken Wein und lachten. Keiner beachtete uns und Durruti. Einer der Männer reichte das Essen und die Weinkrüge herum. Neben Durrutis Teller stellte er eine Flasche Mineralwasser. Ich scherzte: »Du redest immer von der absoluten Gleichheit. Dabei trinken alle Wein — nur du allein trinkst Mineralwasser.« Ich konnte nicht ahnen, welchen Eindruck meine Worte auf Durruti machen würden. Er sprang auf und sehne: »Räumt die Flasche weg. Bringt mir Wasser aus dem Brunnen!« Lange
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