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Der Kuss der Russalka

Der Kuss der Russalka

Titel: Der Kuss der Russalka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Schleier.
    »So früh unterwegs?«, wollte der Wächter am Stadttor wissen. Er musterte die beiden Reisenden von Kopf bis Fuß. Johannes war unbehaglich zumute, aber er beschloss sich nicht einschüchtern zu lassen. Wenige Schritt weiter war der Weg – wenn sie es bis zum Waldrand schafften, waren sie frei.
    »Der Arzt des Zaren wartet nicht«, erwiderte er mit selbstbewusster Stimme. Ohne eine weitere Erklärung zückte er das Sendschreiben mit dem zarischen Wappen und dem Apothekersiegel. Es war klar, dass der Wachsoldat die Buchstaben nicht lesen konnte, aber das Wappen mit dem doppelköpfigen, gekrönten Adler beeindruckte ihn sichtlich.
    »In die neue Stadt zieht ihr, ja?«, fragte er.
    Johannes nickte gewichtig. »Wie Ihr hier gelesen habt, sollen wir uns ohne Verzögerung wieder zur Apotheke in der Peter-und-Paul-Festung begeben.« Er beugte sich vertraulich vor. »Ein Oberst ist erkrankt, hier …«, er klopfte auf sein Bündel, »… sind die Zutaten aus Moskau für seine Medizin.«
    Der Soldat betrachtete das Bündel, schließlich winkte er sie durch. »Dann steht nicht rum«, bellte er. »Der Zar wartet nicht!«
    Erleichtert, dass er kein Bestechungsgeld gefordert hatte, nahmen sie ihn beim Wort und entfernten sich mit raschen Schritten. Johannes spürte den Blick des Soldaten im Rücken wie einen fragend tippenden Finger. »Nicht umschauen«, flüsterte Jelena ihm zu. Hufgetrappel erklang in der Ferne. Wie schon unzählige Male an diesem Morgen griff Johannes nach dem Beutel, der wieder an seinem Gürtel hing, und vergewisserte sich, dass die Perle noch da war. Die Reiter auf dem Weg wurden größer, vor dem morgenhellen Himmel erhoben sich ihre Silhouetten. Etwas an diesem Bild störte Johannes und auch Jelena ging plötzlich langsamer, bis sie schließlich stehen blieb. »Soldaten?«, murmelte sie.
    Ein angstvolles Klopfen machte sich in Johannes’ Brust bemerkbar. Jetzt erkannte er auch die Uniformen. Vier Dragoner mit Gewehren waren es und zwei Grenadiere in blauen Uniformröcken. Sie galoppierten auf die Stadt zu, als hätten sie einen wichtigen Auftrag.
    »Warum habe ich das Gefühl, dass wir laufen sollten?«, murmelte Jelena.
    »Weil du Recht hast«, erwiderte Johannes. Im nächsten Moment sprangen sie vom Weg ab, duckten sich und flohen hinter ein paar armselige Büsche. Im Morgenlicht wirkten die Gesichter der Soldaten wächsern. Zwei davon kannte Johannes nur zu gut. »Derejews Leute«, flüsterte er. Jelena wurde blass.
    »Suchen sie uns?«
    »Wenn nicht, dann werden sie es bald tun«, antwortete Johannes. »Sie werden zu Karpakow reiten. Wahrscheinlich sind sie seine Eskorte nach Sankt Petersburg.«
    Jelena nickte unmerklich. »Mit den Pferden sind sie uns einen Tag voraus, wenn nicht sogar mehr.«
    Die Reiter wurden kleiner und verloren sich vor der Stadt. »Wir könnten Glück haben«, meinte Johannes. »Wenn Karpakow nicht entdeckt, dass die Perle fehlt, haben wir eine Chance. Wir dürfen nur keine Zeit verlieren.«

Iwan
    Der Weg zurück erwies sich als hundertfach schwieriger als der Hinweg. Nach kurzer Zeit setzte ein Nieselregen ein, der den Boden aufweichte und sie trotz der Sommerluft frieren ließ. Die wenigen Stunden, die sie sich als Rast gönnten, vergingen in hastigem Dämmerschlaf, begleitet von seltsamen, dumpfen Träumen, in denen Johannes sich von Wasser umgeben sah. Schlammig war es und so zäh, dass es jede Bewegung erstickte. Bilder von Gesichtern huschten an ihm vorbei, aber sie waren gespenstisch und nicht greifbar, auch wenn er die Züge von Michael und Marfa zu erkennen glaubte. Die Zukunft schnappte zu wie eine Falle und hielt ihn atemlos und verzweifelt fest. Wenn er erwachte und ihm das Regenwasser aus den Haaren lief, war der einzige Trost, den er verspürte, Jelenas Gegenwart. Ohne ein Wort suchten sie in der Dunkelheit die Nähe des anderen und drängten sich aneinander wie Katzen. In diesen Stunden sprachen sie nicht, aber Johannes lernte eine neue Jelena kennen, ein Mädchen, dessen Hände er in den seinen wärmte und das nicht so barsch und abweisend war wie Jewgenij. Schritt für Schritt schien sie in seiner Gegenwart die Maske von Jewgenij abzulegen. Zurück blieb ein sehr trauriges Mädchen, das nicht ja und nicht nein sagte. Kälte und Fieber krochen ihnen in die Glieder. Feuer wagten sie nicht zu machen – ohnehin war das Holz so nass, dass sie damit nur einen weit in den Himmel reichenden Wegweiser für Derejews Leute gesetzt hätten.
    Oft war

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