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Der Kuss der Russalka

Der Kuss der Russalka

Titel: Der Kuss der Russalka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Karpakows Gebrüll gehört. Jetzt hatte er keine Zeit mehr. Er konnte nur eins tun – vielleicht hatte er Glück und Karpakow würde glauben einem trunkenen Traum erlegen zu sein. Johannes tippte an das Blut, das aus der Wunde floss, und schmierte es an einen der Bettpfosten. Für einen Diener musste es so aussehen, als wäre Karpakow in einem Wahntraum gefangen gewesen und gestolpert. Die Ikone wischte er an seinem Hosenbein ab und stellte sie an ihren Platz zurück.
    »Gosudarj?«, rief eine Stimme aus dem unteren Raum nach dem Herrn. Dann ertönten schwerfällige Schritte auf der Treppe. Johannes wirbelte herum und klappte die Truhe auf. Mit bebenden Fingern öffnete er die helle Kiste und fand ein Samtsäckchen. Eine Muschel war nicht darin, dafür aber etwas so Grässliches, dass er beinahe aufgeschrien hätte. Eine mumifizierte Affenhand war es, ledrig und verschrumpelt. Ohne nachzudenken bog er die widerspenstigen Finger ein wenig auf. Behutsam schob er seinen Zeigefinger in die Faust und ertastete etwas Glattes. Eine Tür knarrte. Johannes zerrte die Perle der Russalka aus der Affenhand. Die gefärbte falsche Perle, die er aus seinem Beutel hervorholte und gegen die richtige Perle austauschte, war kleiner als das Original. Seine Finger schienen plötzlich zu groß und ungelenk dafür zu sein. Sie entglitt ihm. Es ging schief, es ging alles schief!
    Mit einem »Klack!« kam die falsche Perle auf dem Holzboden auf, rollte ein Stück und – verschwand in einem Spalt zwischen zwei Dielen. Beim Versuch, sie aus dem Spalt zu bekommen, kratzte er sich die Finger blutig. Es war zu spät. Verzweifelt stopfte er die leere Affenklaue in den Samtsack zurück, den Sack in die helle Kiste und die Kiste in die Truhe. In diesem Augenblick hörte er Getrappel und Geschrei. Türen klappten, ein Knecht kreischte aus vollem Hals »Diebe!«. Mit seiner Beute floh Johannes zum Fenster. Aus dem Augenwinkel erblickte er eine wehende Mähne im Hof und eine Gestalt, die davonlief, verfolgt von einer Horde, die nun aus dem Haus stürmte.
    »Gosudarj Karpakow!«, ertönte ein entsetzter Schrei aus der Schlafkammer. Durch den Spalt im Vorhang erkannte Johannes den Popen, der zum Glück nicht zum Fenster blickte, sondern sich über seinen Herrn warf. Johannes schwang sich aus dem Fenster, kletterte über das Fensterbrett und sprang. Rauchgeruch fing sich in seiner Nase. Noch während er durch die Luft segelte, fiel ihm ein, dass er für seine Landung auf dem Dach besser eine andere Stelle gewählt hätte. Noch bevor er weiterdenken konnte, krachten seine Knie beim Aufprall auf dem Dach. Das morsche Dachbrett, das schon vorhin seinem Gewicht nicht standgehalten hatte, brach nun wie eine dünne Eiskruste – und im nächsten Augenblick sauste Johannes durch das Dach in den Stall. Unsanft landete er auf einem Haufen Stroh. Qualm hüllte ihn ein. Wärme leckte über seinen Nacken. Die Stalltür stand weit offen, Knechte rannten auf die Pferdeboxen zu. Doch als sie Johannes sahen, weiteten sich ihre Augen vor Entsetzen und sie schrien auf. Richtig, fiel Johannes ein – ich bin der Teufel! Dramatisch riss er die Arme hoch und brüllte die Knechte an. Der Effekt war erstaunlich. Vor seinen Augen verwandelten sie sich in die heulenden, schreienden Seelen im Fegefeuer, die Johannes auf alten Kirchenbildern gesehen hatte. Stolpernd und kreischend stürzten sie davon.
    Als Johannes sich umwandte, konnte er sich vorstellen, was sie gesehen hatten: eine schwarze Gestalt, die einem lodernden Feuer entstieg. Der Stall brannte lichterloh. Nun gab es nur einen Ausweg – zu Fuß würde er kaum über den Hof entkommen können. In der Nähe schlugen schwere Hufe gegen Holz. Johannes hatte zu Hause zwar den einen oder anderen Ackergaul geritten, aber jetzt war es nur die Panik, die ihn dazu brachte, auf die Boxenwand zu klettern, den Riegel zurückzuschieben und sich auf den Rücken des riesigen Pferdes zu schwingen, das vor Angst halb verrückt war. Im nächsten Augenblick brach unter ihm ein Vulkan aus. Strähnen von Mähnenhaar schnitten in seine Hände. Ein Ruck ging durch seine Schultern, dann versuchte er nur noch, sich auf einem gewaltigen Wirbelwind im Gleichgewicht zu halten. Hufe donnerten auf den Boden und er duckte sich im letzten Moment unter dem Türstock. Fackeln blendeten ihn, dann traf ihn ein Schwall Wasser. Schreiende Münder klafften neben ihm und da war auch ein Finger, der auf ihn zeigte. Eine mit Wucht geschleuderte Mistgabel

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