Der Kuß der Schlange
Austausch von Zitaten, derer sich Wexford anfangs etwas krampfhaft bedient hatte, um seine intellektuelle Gleichrangigkeit darzutun, und auf die Howard, wie sein Onkel glaubte, entsprechend geantwortet hatte, um unauffällig das Thema ihres gemeinsamen Berufes zu umgehen.
»Literarisches Geplänkel, Reg?« fragte Howard lächelnd.
»Bloß, um das Eis zu brechen – und du wirst noch richtiges Eis auf deine Blumenvasen kriegen, Denise, wenn du die Klimaanlage so weiterlaufen läßt. Nein, ich möchte mit dir besprechen, weshalb ich hergekommen bin, aber das hat Zeit bis nach dem Essen.«
»Und ich dachte, du bist hergekommen, um mich zu sehen!« sagte Denise.
»Bin ich auch, meine Liebe, aber eine andere junge Frau interessiert mich im Moment noch erheblich mehr.«
»Was hat sie, was ich nicht habe?«
Wexford nahm ihre Hand, tat, als untersuche er sie genau und meinte dann: »Eine L-förmige Narbe am Zeigefinger.«
Wenn Wexford in London war, hoffte er immer, die Leute würden ihn für einen Londoner halten. Um dieser Illusion Vorschub zu leisten, ergriff er gewisse Maßnahmen, wie etwa, auf seinem Platz sitzenzubleiben, bis die U-Bahn an seinem Zielort tatsächlich zum Stehen gekommen war, statt dreißig Sekunden vorher nervös aufzuspringen, wie es Nichtlondoner gewöhnlich taten. Und er verkniff es sich, andere Passagiere zu fragen, ob der Zug, in dem er sich befand, wirklich zu der Station fuhr, die auf der verwirrenden Anzeigentafel ausgewiesen war. Auf diese Weise hatte er sich einmal in Uxbridge wiedergefunden statt in Harrow-on-the-Hill. Aber es war gar nicht so einfach, mit der U-Bahn von den westlichen Ausläufern Chelseas zum West End zu gelangen, deshalb stieg Wexford in den Bus Nr. 14, einen alten Bekannten.
Marcus Flower stellte sich nicht als eine Person, sondern als zwei heraus, Jason Marcus und Stephen Flower, von denen ersterer aussah wie ein langhaariger und jugendlicher Ronald Colman und letzterer wie ein kurzhaariger, pensionierter Mick Jagger. Wexford lehnte den schwarzen Kaffee dankend ab, den sie – anscheinend als Medizin gegen ihren Kater – tranken, und sagte, er sei im Grunde gekommen, um mit Linda Kipling zu sprechen. Marcus und Flower überschlugen sich daraufhin in sinnigen Anspielungen, nämlich daß es natürlich viel lohnender sei, Miss Kipling zu besuchen als sie beide, und daß ja überhaupt alle Leute bloß wegen der Mädchen kämen, um dann ebenso simultan plötzlich ernst zu werden und nahezu unisono zu beteuern, wie entsetzlich leid es ihnen getan habe, vom Verlust ›des armen alten Bob‹ zu hören; das hätte sie absolut ›umgeschmissen‹.
Dann wurde Wexford von Marcus durch eine Reihe von Büros geführt, die merkwürdig nüchtern und üppig zugleich wirkten, Räume, deren Möbel aus Stahl und Leder sich seltsam abhoben gegen extravagante Samtvorhänge und Hochflorteppiche. An den Wänden hingen abstrakte Bilder vom Genre verspritzten Tomatenketchups und kopulierender Spinnen, und auf niedrigen Tischen lagen Magazine vom Genre der Soft-Pornographie. Die Sekretärinnen, drei an der Zahl, befanden sich alle gemeinsam in einem blausamtenen Raum – die, welche ihn empfangen hatte, eine rothaarige und Linda Kipling. Von zwei weiteren, berichtete Linda, war die eine beim Friseur und die andere auf einer Hochzeit. So eine Art Firma war das also.
Sie führte ihn in ein leeres Büro, wo sie sich auf einer Bank aus schwarzem Leder und Metall niederließ, wie man sie in Flughafenlounges findet. Linda sah aus wie eine Schaufensterpuppe in der Auslage eines sehr teuren Modegeschäftes, realistisch, aber nicht real, wie aus hochqualitativem Plastik gefertigt. Sie betrachtete eingehend ihre Fingernägel, die grün waren, während sie ihm erzählte, daß Robert Hathall seine Frau jeden Tag um die Mittagszeit angerufen habe. Entweder habe er selbst angerufen, oder aber er habe sie gebeten, die Verbindung für ihn herzustellen. Das hätte sie ›ganz süß‹ gefunden, obwohl jetzt, ja, das sei natürlich ›entsetzlich tragisch‹.
»Sie würden also sagen, er war glücklich verheiratet, Miss Kipling? Hat viel von seiner Frau geredet, hatte ihr Foto auf dem Schreibtisch, so in der Art?«
»Er hatte wirklich ihr Foto da stehen, aber Liz hat gesagt, so was sei total spießig, und da hat er es weggesteckt. Ob er glücklich war, das weiß ich nicht, weil er nie besonders aus sich rausging, wissen Sie, nicht so wie Jason und Steve und ein paar von den anderen Typen.«
»Wie war
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