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Der Kuß der Schlange

Der Kuß der Schlange

Titel: Der Kuß der Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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dann hätte er Dora vielleicht jetzt nicht einen so herzhaften Kuß gegeben und sie gefragt, was er jetzt fragte:
    »Wie fändest du es, für ein paar Tage nach London zu fahren?«
    »Du meinst, du mußt hin?«
    Wexford nickte.
    »Und du kannst es nicht ertragen, von mir getrennt zu sein?«
    Wexford spürte, wie er rot wurde. Warum hatte sie bloß diesen Spürsinn? Es war fast, als habe sie seine Gedanken gelesen. Aber wenn sie nicht so feinfühlig gewesen wäre, hätte er sie dann geheiratet? »Und ob ich möchte, Liebling«, sagte sie erfreut. »Und wann?«
    »Wenn Howard und Denise uns haben wollen, sobald du deinen Koffer gepackt hast.« Er grinste bei dem Gedanken, welche Menge an Kleidern sie mitnehmen würde, selbst für nur zwei gemeinsame Tage mit seiner eleganten Nichte Denise. »Sagen wir – in zehn Minuten?«
    »Gib mir eine Stunde«, meinte Dora.
    »Einverstanden. Ich ruf Denise an.«
    Chief Superintendent Howard Fortune, Chef der Kriminalpolizei des Distrikts Kenbourne Vale, war der Sohn von Wexfords verstorbener Schwester. Jahrelang hatte er eine gewisse Scheu vor ihm gehabt, eine Scheu, die mit Neid auf diesen hochgerühmten Neffen gemischt war, dem so viele gute Dinge in den Schoß gefallen waren, anscheinend ohne viel Anstrengung von seiner Seite – ein erstklassiges Abschlußexamen, ein Haus in Chelsea, eine Ehe mit einem bildschönen Fotomodell, rasche Karriere, so daß er seinen Onkel im Rang bald überrundete. In Wexfords Augen hatten die beiden den harten Glanz der Jet-set-Leute angenommen und waren, obwohl er sie kaum kannte, für ihn in jene Kategorie reicher Verwandter aufgerückt, die einen aus der Ferne verachteten und die Nase rümpften, wenn man ihnen zu nahe kam. Mit großen Befürchtungen war er damals ihrer Einladung gefolgt, um sich bei ihnen von einer Krankheit zu erholen, und seine Befürchtungen hatten sich als grundlos erwiesen, als dumme Unterstellungen, aus dem Neid erwachsen. Denn Howard und Denise waren freundlich und gastfrei und gar nicht anmaßend gewesen, und nachdem er Howard geholfen hatte, in Kenbourne Vale einen Mordfall zu lösen – Howard behauptete sogar, er allein hätte ihn gelöst –, da hatte er sich ebenbürtig gefühlt, und eine echte Freundschaft war entstanden.
    Wie fest diese Freundschaft war, hatte sich zum Beispiel durch das Vergnügen der Fortunes an einem Familien-Weihnachtsfest in Wexfords Haus gezeigt, an der Übereinstimmung zwischen Onkel und Neffen, und es zeigte sich auch jetzt wieder an der Begrüßung, die dem Chief Inspector und seiner Frau zuteil wurde, als das Taxi sie zu dem Haus in der Teresa Street brachte. Es war kurz nach sieben, und eins von Denises köstlichen Dinners war nahezu fertig.
    »Du bist ja so dünn geworden, Onkel Reg«, sagte sie, als sie ihn küßte. »Ich hab hier die Kalorien für dich gezählt, und jetzt scheint es, als hätte ich mir die Mühe sparen können. Du siehst wirklich gut aus.«
    »Danke, meine Liebe. Ich muß gestehen, mein erfolgreiches Abnehmen hat meine schlimmste Furcht vor London beseitigt.«
    »Und die wäre?«
    »Die war, daß ich in einer dieser automatischen Fahrkartenschleusen feststecken würde – weißt du, diese Dinger mit den zuschnappenden Eisenbarren – und nicht wieder rauskäme.«
    Denise lachte und führte sie ins Eßzimmer. Seit jenem ersten Besuch hatte Wexford auch seine Angst überwunden, Denises Blumenarrangements umzustoßen, und ebenso seine Scheu vor ihren zierlichen, chinesischen Porzellansachen und den pastellfarbenen Satinbezügen der Polstermöbel, bei denen er immer überzeugt gewesen war, er werde sie mit Kaffeeflecken ruinieren. Der Überfluß allenthalben, die unaufdringliche Pracht und das Flair gediegenen Lebens schüchterten ihn nicht mehr ein. Er konnte jetzt gelassen in einer jener kleinen Runden aus Sesseln und einem seidenen Sofa sitzen, die ihn so sehr an Interieurfotografien aus königlichen Schlössern erinnerten. Er konnte über die tropische Hitze der Zentralheizung lachen, oder jetzt, da sie nicht an war, sich über ihr sommerliches Gegenstück, die Air-condition, mokieren.
    »Das erinnert mich an Scotts Beschreibung von Lady Rowenas Wohnungen«, sagte er. »Da heißt es: ›Die kostbaren Vorhänge wehten im Nachtwind … Die Flammen der Fackeln flatterten seitwärts in die Luft wie die entrollte Fahne eines Anführers.‹ Nur sind es in eurem Fall Grünpflanzen, die flattern, und nicht Flammen.«
    Sie hatten einen oft wiederholten Witz über ihren

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