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Der Kuß der Schlange

Der Kuß der Schlange

Titel: Der Kuß der Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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der Schock Hathall ereilt. Jene lähmende Fassungslosigkeit mit ihren Begleitern Ungläubigkeit, Entsetzen und langsamem Dämmern, wie die Zukunft sein wird, die ihn in dem Moment hätte niederschmettern müssen, als er die Leiche seiner Frau erblickte, wirkte sich fünf Tage später aus. Er war wie vom Donner gerührt.
    Wexford war erregt, aber er benahm sich betont zwanglos. »Vielleicht können Sie ein wenig Licht in die Sache bringen. Wem könnte dieser Handabdruck gehören?«
    Hathall zog scharf die Luft ein. Es war, als litte er unter akuter Atemnot. Langsam schüttelte er den Kopf.
    »Keinerlei Idee, Mr. Hathall?«
    Das Kopfschütteln ging weiter. Es war roboterhaft, automatisch, wie ausgelöst durch ein furchtbares Uhrwerk im Gehirn. Wexford hatte den Eindruck, daß Hathall seinen Kopf krampfhaft mit beiden Händen hätte packen und festhalten müssen, um diese langsame, mechanische Bewegung zu stoppen.
    »Ein ganz klarer Handabdruck an der Seite Ihrer Badewanne. Und eine L-förmige Narbe am Zeigefinger. Wir werden ihn natürlich als Ausgangspunkt für unsere Ermittlungen nehmen.«
    Hathalls Kinn fuhr ruckartig in die Höhe. Ein Zittern lief durch seinen Körper. »Auf der Badewanne, sagen Sie?« Er brachte es mühsam mit hoher, gepreßter Stimme zwischen steifen Lippen hervor.
    »Auf der Badewanne. Stimmt’s, ich habe recht, Sie können sich denken, wessen Abdruck das sein könnte?«
    »Ich habe …«, sagte Hathall bebend und kraftlos, »nicht die leiseste Ahnung.« Seine Haut hatte eine fahle, fleckige Blässe angenommen, aber jetzt kehrte das Blut zurück und pulsierte in den Venen auf seiner Stirn. Das Schlimmste des Schocks war vorüber. Jetzt folgte – ja was eigentlich? Nicht Zorn, nicht Entrüstung – Trauer, dachte Wexford überrascht. Jetzt, in diesem späten Stadium wurde Hathall von echter Trauer gepackt…
    Wexford verspürte keine Neigung, nachsichtig zu sein. Unbarmherzig fuhr er fort: »Mir ist aufgefallen, wie begierig Sie während all meiner Verhöre erfahren wollten, welche Schlüsse wir aus Fingerabdrücken gezogen hätten. Ich habe wirklich noch nie erlebt, daß ein Ehemann, der gerade seine Frau verloren hat, derart an forensischen Maßnahmen interessiert war. Ich kann mich deshalb des Gefühls nicht erwehren, als hätten Sie darauf gewartet, daß ein bestimmter Fingerabdruck gefunden würde? Wenn das so ist, und da wir ihn nun gefunden haben, muß ich Ihnen leider sagen, daß Sie die Aufklärung des Falles behindern, wenn Sie jetzt wesentliche Informationen für sich behalten.«
    »Lassen Sie Ihre Drohungen.« Die Worte waren zwar scharf, aber die Stimme, die sie sprach, war schwach und die Schroffheit des Tons kläglich geheuchelt. »Glauben Sie nur nicht, Sie könnten mich in die Enge treiben.«
    »Es war ein gutgemeinter Rat, Mr. Hathall. Und wenn Sie klug sind, dann erzählen Sie mir jetzt, was Sie ohne Zweifel wissen.«
    Und doch wußte er, während er das sagte und in die trostlosen, schockierten Augen des Mannes blickte, daß eine solche Enthüllung alles andere als klug wäre. Was für ein Alibi dieser Mann auch haben, wieviel Liebe und Ergebenheit für seine Frau er auch bekunden mochte, er hatte sie umgebracht. Und als er jetzt aus dem Zimmer ging und das Haus verließ, da sah er im Geiste Robert Hathall förmlich schwer in den Sessel fallen, flach atmend nach seinem rasenden Herzen tasten und mit buchstäblich all seinen Kräften ums Überleben kämpfen.
    Das alles war das Ergebnis der Mitteilung, daß man den Handabdruck einer Frau gefunden hatte. Also wußte er, wer diese Frau war. Er war die ganze Zeit über so auf Fingerabdrücke versessen gewesen, weil er fürchtete, sie könnte ein solches Indiz hinterlassen haben. Aber seine Reaktion war nicht die eines Mannes gewesen, der lediglich einen Verdacht hat oder die Bestätigung einer Tatsache fürchtet, die er schon ahnt. Es war die Reaktion eines Menschen gewesen, der um seine eigene Freiheit und seinen eigenen Frieden bangt und zugleich um die Freiheit und den Frieden eines anderen, und darüber hinaus darum, diese Freiheit und diesen Frieden nicht gemeinsam genießen zu können.

8
    Seine Entdeckung hatte die Erinnerung an jenes Intermezzo beim Mittagessen völlig verdrängt. Aber als er kurz nach vier Uhr sein eigenes Haus betrat, da tauchte sie wieder auf, verblaßt unter den Schuldgefühlen. Und wenn er nicht jene Stunde in Nancy Lakes Gesellschaft verbracht hätte, oder wenn es weniger erfreulich gewesen wäre,

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