Der Kuß der Schlange
bereits das Wirken einer fremden, geschmacklosen Hand spürbar. Auf dem ovalen Tisch des alten Mr. Somerset stand eine Vase mit Plastikblumen. Welch ein Impuls, festlich oder trauernd, bewog Mrs. Hathall, die Dinger zu kaufen und dort hinzustellen? Plastikblumen, dachte Wexford, und das in einer Zeit üppigster Fruchtbarkeit, wo es in Blumenläden, in Gärten und an Heckenrändern echte Blumen in Hülle und Fülle gab!
Hathall bot ihm keinen Stuhl an, und er selbst setzte sich auch nicht. Er lehnte sich im Stehen mit einem Ellbogen auf den Kaminsims und stemmte die Faust gegen die harte, rote Wange.
»Sie haben also in meinem Wagen nichts Verdächtiges gefunden?«
»Das habe ich nicht gesagt, Mr. Hathall.«
»Also bitte, ja oder nein?«
»Wir haben tatsächlich nichts gefunden, nein. Derjenige, der Ihre Frau umgebracht hat, war sehr gerissen. Ich kann mich nicht erinnern, daß mir schon mal jemand vorgekommen wäre, der in so einer Situation seine Spuren derartig fachgerecht verwischt hätte.« Um es auf die Spitze zu treiben, verlieh er seiner Stimme einen Unterton grimmiger Bewunderung. Hathall hörte zwar anscheinend ungerührt, aber mit einem Ausdruck tiefer Befriedigung zu. Die Faust öffnete und entspannte sich, und er lehnte sich mit einer gewissen Arroganz gegen den Kamin zurück. »Der scheint Handschuhe getragen zu haben, als er Ihren Wagen fuhr«, sagte Wexford, »und obendrein muß er ihn auch noch gewaschen haben. Anscheinend hat niemand beobachtet, wie er den Wagen abgestellt hat, und auch am Freitag hat ihn niemand damit fahren sehen. Tja, im Moment haben wir wirklich sehr wenige Spuren, die wir verfolgen können.«
»Und – ich meine, werden Sie denn noch weitere finden?« Er war jetzt lebhaft interessiert, scheute sich aber, sein Interesse offen zu zeigen.
»Es ist noch nicht aller Tage Abend, Mr. Hathall. Wer weiß?« Vielleicht war es grausam, mit dem Mann zu spielen. Rechtfertigte das Ziel jemals die Mittel? Und Wexford wußte ja auch nicht einmal, welches Ziel er eigentlich ansteuerte, oder wohin er bei diesem Versteckspiel im dunklen Raum als nächstes greifen sollte. »Ich kann Ihnen immerhin sagen, daß wir hier im Haus noch Fingerabdrücke eines anderen Mannes – außer Ihren eigenen – gefunden haben.«
»Und? Waren die in Ihrer – wie nennen Sie das doch? – in Ihrer Verbrecherkartei?«
»Sie stellten sich als die von Mr. Mark Somerset heraus.«
»Ach so …« Auf einmal sah Hathall so jovial aus, wie Wexford ihn noch nie gesehen hatte. Womöglich hielt nur die Abneigung gegen körperliche Berührung ihn davon ab, einen Schritt vorzutreten und dem Chief Inspector den Rücken zu tätscheln. »Tut mir leid«, sagte er, »ich bin im Moment nicht ganz ich selbst. Ich hätte Sie bitten sollen, Platz zu nehmen. So, so, also die einzigen Spuren, die Sie gefunden haben, waren die von Mr. Somerset, was? Der liebe Vetter Mark, unser knauseriger Hauswirt.«
»Das habe ich nicht gesagt, Mr. Hathall.«
»Na ja, und meine natürlich, und – und Angelas.«
»Natürlich. Aber außer denen haben wir den vollen Handabdruck einer Frau in Ihrem Badezimmer gefunden. Es ist der Abdruck der rechten Hand, und auf der Kuppe des Zeigefingers ist eine L-förmige Narbe.«
Wexford hatte zwar eine Reaktion erwartet, aber er hatte geglaubt, Hathall hätte sich so gut unter Kontrolle, daß er höchstens neuerliche Entrüstung äußern würde, daß er sich vielleicht beschweren würde, weshalb die Polizei diesem Hinweis noch nicht nachgegangen sei, oder daß er mit einem ungeduldigen Achselzucken erklären würde, dies sei der Abdruck einer Freundin seiner Frau, die er in seiner Verwirrung zu erwähnen vergessen habe. Nie und nimmer aber war er darauf gefaßt gewesen, daß er mit seinen Worten, während er doch völlig im dunkeln tappte, einen derartig durchschlagenen Effekt auslösen würde.
Denn Hathall erstarrte zur Salzsäule. Alles Leben schien aus ihm gewichen. Es war, als sei er von einem plötzlichen Schmerz überfallen worden, so stark, daß er förmlich paralysiert war oder aber gezwungen, zum Schutz seines Herzens und seines Nervensystems völlig regungslos zu verharren. Aber gesagt hatte er nichts, hatte keinen Ton von sich gegeben. Seine Selbstkontrolle war fabelhaft. Sein Körper jedoch, sein physisches Selbst, triumphierte über den geistigen Prozeß. Es war ein so starkes Beispiel von Überlegenheit der Materie über den Geist, wie Wexford es noch nie erlebt hatte: Jetzt endlich hatte
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