Der Kuss der Sirene

unterwegs noch Nicki einsammeln«, sagt Sienna.
    Ich nicke und frage mich, wen Nicki wohl als Begleitung mitbringen wird.
    Als wir in die kühle Oktoberluft hinaustreten, steigen Erik und Patrick aus der Limousine. Erik sieht aus wie das Model eines Herrenausstatters. Das Jackett ist ihm wie auf den Leib geschneidert, an anderen Jungen unseres Jahrgangs würde es traurig herumschlackern. Er trägt glänzende schwarze Schuhe: von Kopf bis Fuß ein Gentleman.
    Strahlend gehe ich auf ihn zu – ich kann einfach nicht anders. Er hält eine durchsichtige Schachtel in der Hand, in der sich, umgeben von Schleierkraut, eine weiße Lilie an einem Seidenband befindet. Er strahlt und als ich zurücklächle, beruhigen sich die Schmetterlinge in meinem Bauch. Unsere Verbindung mag zwar übernatürlich sein, aber sie ist dennoch real. Er kennt mich auf eine Art, wie niemand sonst, und das fühlt sich gut an.
    Er lässt die Schachtel aufschnappen und nimmt das Blütenarmband heraus. Er streift es über mein Handgelenk und seine Finger berühren leicht meine Haut. Die Schmetterlinge in meinem Bauch beginnen wieder wild zu flattern. »Du siehst atemberaubend aus«, sagt er.
    Â»Danke.«
    Er beugt sich vor, tippt meinen Nacken mit den Fingern an und küsst mich kurz auf den Mund. Wo seine Finger mich berührt haben, prickelt meine Haut. Das ist alles beinahe zu schön, um wahr zu sein.
    Wir steigen in die Limousine. Ich rutsche rüber, damit Erik neben mir sitzen kann. Er legt eine Hand auf mein Knie und ich kann seine Wärme durch die Seide hindurch spüren.
    Â»Danke, dass du gekommen bist«, sage ich.
    Â»Diesen Moment hätte ich um keinen Preis verpassen wollen.« Er drückt leicht mein Knie.
    Nickis Haus ist nicht weit von Siennas Anwesen entfernt, doch die Adresse ist wesentlich bescheidener.
    Direkt vor den großen getönten Scheiben unseres Autos erscheint ein Pärchen. Dieser Anblick lässt mir das Blut in den Adern gefrieren. Nickis Verabredung.
    Das kann sie mir nicht antun. Er kann mir das nicht antun. Eriks Hand drückt meine Knie, wie um mir Halt zu geben. Als wüsste er, dass sich mein Inneres schmerzhaft zusammenzieht.
    Die beiden steigen ein. Cole schiebt sich neben Sienna, sitzt also mir und Erik genau gegenüber. Er starrt mich unverwandt an, als wollte er mich zwingen, ihn anzusehen. Als suchte er den Schmerz in meinen Augen. Das ist seine Rache: Ich turtle hier mit Erik herum, und er hat Nicki, um es mir heimzuzahlen.
    Nicki ignoriert mich und legt die Hand auf Coles Oberschenkel. »Vielen Dank für das Blütenarmband. Es ist wunderschön.«
    Sie hat eine weiße Lilie am Handgelenk, genau wie ich. Es ist, als würde mich die Blume an meinem Arm versengen. Ich würde sie am liebsten abreißen und wegschleudern.
    Stattdessen sitze ich schweigend da, meine Fingernägel graben sich in meine Handflächen. Schließlich verrät Nickis Blick, dass auch sie die peinliche Dopplung entdeckt hat. Ich rutsche auf dem Sitz hin und her und bin heilfroh, als wir den Schulparkplatz erreichen. Um so schnell wie möglich von Cole und Nicki wegzukommen, falle ich fast aus dem Wagen. Erik springt gerade noch rechtzeitig vor, greift nach meinem Arm und richtet mich auf.
    Â»Alles okay?«, murmelt er in mein Ohr. Sein Blick wandert kurz zurück zu Cole, als wollte er mir damit zeigen, dass er verstanden hat. Ich nicke und hake mich bei ihm ein. Mein Kleid ist eigentlich zu kurz und zu dünn für einen so kühlen Abend, aber alles ist besser als die stickige Hitze im Auto.
    Wir treten durch die Doppelglastüren und der Klang unserer Schritte erfüllt die Luft. Ich kann spüren, wie Cole und Nicki Löcher in meinen Rücken starren – im Hass gegen mich vereint.
    Als wir die bereits überfüllte Turnhalle betreten, nicke ich kurz Sienna zu und flüchte mich in die Sicherheit der Menge. Meine Bewegungen sind fahrig, doch Erik lässt meinen Arm nicht einen Moment los.
    Ich weiß, dass ich kurz davor bin auszuticken, und es tut mir leid, dass ich ihn in diese blöde Situation gebracht habe. Er weiß, dass er für mich nur die zweite Wahl ist. Das trifft ihn sicher tief. Ich versuche mit allen Mitteln, mich zusammenzureißen.
    Obwohl ja ich es war, die Cole verlassen hat, und nicht umgekehrt, habe ich zuvor nie einen Gedanken daran verschwendet, dass er mit einer anderen auftauchen