Der Kuss der wilden Rose: Mittsommerhochzeit (German Edition)
dann machte sie sich auf den Weg. Natürlich hätte sie sich auch von dem Taxi direkt bis ans Ziel bringen lassen können. Denn einerseits konnte sie es kaum erwarten, Lorenz wiederzusehen, doch ein Teil von ihr fürchtete sich auch vor dieser Begegnung.
Wie würde er reagieren, wenn sie ihm plötzlich gegenüberstand? Noch dazu hier, wo alles begonnen hatte?
Ihr Herz fing an zu rasen, und sie musste sich zwingen, tief und ruhig durchzuatmen. Es wird schon alles gut werden, sagte sie sich. So recht daran glauben konnte sie aber selbst nicht. Den Weg nach Fjälldal Gard kannte Lotte fast im Schlaf, doch mit jedem Schritt, den sie sich dem Gutshof näherte, wurde ihr mulmiger zumute. Wenn Lorenz nun überhaupt nicht hier war? Immerhin hatte sie nach seiner überstürzten Abreise nichts mehr von ihm gehört und war nur einer inneren Eingebung gefolgt.
Und jetzt war sie hier.
Schmetterlinge flatterten in ihrem Bauch, als sie die Hand hob und an die weiß getünchte Holztür des Haupthauses klopfte. So viel hing davon ab, dass er ihr eine Chance gab, alles zu erklären. Sie konnte sich ein Leben ohne ihn einfach nicht mehr vorstellen. Darum war sie völlig überstürzt von Kärlekholmen aufgebrochen. Die königliche Familie, der Schlosspark, das alles war jetzt gleichgültig. Wenn sie Lorenz verlor, hatte nichts mehr einen Sinn.
“Lorenz?”, rief sie verzweifelt, als niemand öffnete. “Bitte, mach auf! Ich muss unbedingt mit dir sprechen!”
Wieder erhielt sie keine Antwort. Und nun? Sollte sie hier warten oder lieber in den Ort gehen und sich umhören, ob jemand Lorenz gesehen hatte? Kurz entschlossen nahm sie ihren Notizblock aus der Tasche und kritzelte rasch ein paar Zeilen darauf. Dann faltete sie das Papier zusammen und schob es unter der Haustür durch.
“Kann ich Ihnen irgendwie helfen?”, fragte auf einmal jemand hinter ihr.
Lotte drehte sich um – und atmete scharf ein, als sie die dunkelhaarige Frau erkannte, die gerade hinter dem Gebäude hervorgetreten war.
“Tatjana”, stieß sie heiser aus. “Was machst du denn hier?”
“Kennen wir uns?” Tatjana runzelte die Stirn, dann erhellte sich ihre Miene. “Lotte Rosenblad, nicht wahr? Millas kleine Schwester! Mensch, ist das lange her! Was machst du so?”
Zuerst konnte Lotte sie nur ungläubig anschauen, dann räusperte sie sich mühsam. “Ich …”
“Mama!”, erschallte da plötzlich eine helle Kinderstimme. Als Lotte sich umblickte, sah sie ein kleines hellblondes Mädchen, das auf sie zugelaufen kam. In der pinkfarbenen Latzhose mit den passenden Gummistiefeln sah es einfach allerliebst aus. “Mir ist langweilig. Wann kommt denn der Papa zurück?”
Zärtlich strich Tatjana dem Mädchen, das ihr Bein mit beiden Armen umklammerte, übers Haar. “Es dauert bestimmt nicht mehr lange, Lilly. Komm, sei lieb und sag fein
Hej
zu Lotte.”
Doch Lilly barg ihr Gesicht an der Hüfte ihrer Mutter und sagte keinen Ton. Tatjana lachte. “Du kennst Lilly noch nicht, oder? Sie ist meine und Lorenz’ Tochter, weißt du? Ich …”
Den Rest des Satzes hörte Lotte nicht mehr. Immer wieder hallten Tatjanas Worte in ihrem Kopf wider.
Sie ist meine und Lorenz’ Tochter … Lorenz’ Tochter … Lorenz’ Tochter …
“Ist alles in Ordnung?”, fragte Tatjana nach einer Weile besorgt und riss Lotte damit aus ihrem tranceähnlichen Zustand. “Du bist auf einmal so blass. Möchtest du vielleicht einen Schluck Wasser trinken?”
Lotte schüttelte den Kopf. “Wo ist Lorenz?”, fragte sie mit zittriger Stimme.
“Du hast Glück”, erwiderte Tatjana. “Er ist gestern Abend wohl überraschend früher von einem Auftrag zurückgekehrt. Ich habe es heute zufällig gehört und bin gleich zusammen mit Lilly rausgefahren, um ihn zu begrüßen. Weißt du, Lorenz und ich, wir hatten uns eine Weile nicht gesehen. Aber vor Kurzem haben wir unsere Liebe füreinander wiederentdeckt. Und außerdem ist da ja auch noch unsere kleine Tochter.” Sie lachte. “Aber warum bleibst du nicht einfach hier und wartest gemeinsam mit uns? Wir haben uns so viel zu erzählen. Weißt du was, warum kommst du nicht einfach zu unserer Verlobungsfeier? Du bist doch bestimmt noch ein paar Tage hier und …”
“Nein!”, stieß Lotte entsetzt aus. Dann holte sie tief Luft und fuhr etwas ruhiger fort: “Nein, das wird nicht nötig sein. Ich war einfach gerade in der Nähe und dachte … Ich …”
Da sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen traten, wandte sie sich
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